Wie entsteht das Lawinenbulletin?

Das Lawinenbulletin entsteht nicht auf Knopfdruck, sondern in Teamarbeit. Jeweils drei der insgesamt acht Prognostikerinnen und Prognostiker haben im Turnus Bulletindienst. Für ein zuverlässiges Lawinenbulletin analysieren und interpretieren sie zahlreiche Daten und Informationen. Expertenwissen und Erfahrung sind bei dieser Arbeit gefordert.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Das Lawinenbulletin: Mit dem Bulletin gibt das WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF eine Prognose der Lawinengefahr für die Schweizer Alpen, den Jura und Liechtenstein heraus. Es erscheint im Winter ein bis zweimal täglich (8 und 17 Uhr) und bei Bedarf auch im Sommer. Es besteht aus einer zoombaren Gefahrenkarte mit Gefahrenbeschreibungen sowie einem Text zu «Schneedecke und Wetter».
  • Die Datenanalyse: Die Diensthabenden werten Messdaten, Beobachtungen und Einschätzungen aus, um die aktuelle Schnee- und Lawinensituation zu beurteilen. Für die Prognose verwenden sie ausserdem Wetter- und Schneemodelle.
  • Das Team: Es gibt am SLF insgesamt 8 Lawinenwarnerinnen und Lawinenwarner. Jeweils 3 erstellen im Turnus das Lawinenbulletin. Sie sind als «Einsteiger/Einsteigerin», «Hauptverantwortliche/Hauptverantwortlicher» und «Reserveperson» eingeteilt. Im nächsten Turnus wird der «Einsteiger» zum «Hauptverantwortlichen», der «Hauptverantwortliche» zur «Reserveperson» und die «Reserveperson» steigt aus dem Bulletindienst aus. Durch dieses Rotationsverfahren wird sichergestellt, dass das Wissen über die vorhergehende Entwicklung der Schnee- und Lawinensituation überlappend weitergegeben wird und nicht verloren geht.
  • Das Briefing: Im täglichen Briefing um 15 Uhr präsentiert der Hauptverantwortliche seine Analyse. Anschliessend werden die Einschätzungen der verschiedenen Lawinenwarnerinnen und -warnern verglichen und diskutiert.
  • Die Software: Um ein Lawinenbulletin zu erstellen, braucht es spezielle Software. Die Produkte dafür werden eigens am SLF entwickelt.
  • Die Bezugskanäle: Das Lawinenbulletin wird via Internet und White Risk-App, das Naturgefahrenportal des Bundes, aber auch über Radio, Soziale Medien, Fernsehen und Zeitungen veröffentlicht.
  • Auftrag und Finanzierung:  Im Auftrag des Bundes ist das SLF seit 1945 für die Lawinenwarnung zuständig. Während über viele Jahre ein Teil der Lawinenwarnung über das Bundesamt für Umwelt (BAFU) finanziert wurde, läuft ab 1.1.21 die volle Finanzierung über den ETH-Bereich.

Arbeitsablauf

Von den insgesamt acht Lawinenwarnern bestreiten jeweils drei im Turnus den operationellen Lawinenwarndienst. In den Zwischen- oder dienstfreien Zeiten erstellen sie den AvaBlog und die Winterberichte, kümmern sich um Beobachternetz und Unfälle, sind in der Ausbildung tätig, entwickeln neue Produkte und widmen sich verschiedenen Forschungs- und Projektarbeiten.

Beschreibung des Tagesablaufs

Die Einschätzung der Lawinengefahr ist ein fortlaufender Prozess. Die Prognose für den folgenden Tag beginnt bereits vor dem Mittag mit einer detaillierten Datenanalyse. Dabei werten die Lawinenwarner alle verfügbaren Informationen mit verschiedenen, eigens dafür entwickelten Programmen aus. Im Mittelpunkt stehen die lawinenbildenden Faktoren und ihre Entwicklung in den kommenden Tagen. Dabei kommen auch Modelle mit künstlicher Intelligenz zum Einsatz.

Um 15 Uhr findet ein Briefing statt. Dort präsentiert der Hauptdienst seine Analyse und anschliessend werden die Einschätzungen der verschiedenen Lawinenwarner verglichen und diskutiert. Zum Schluss des Briefings herrscht Klarheit über den Schneedeckenaufbau, den wahrscheinlichsten Witterungsverlauf und darauf aufbauend die erwartete Lawinensituation inkl. Gefahrenstufe, besonders betroffenen Geländeteile, Lawinenprobleme usw.

Der Bulletintext "Schneedecke und Wetter", welcher vom Hauptdienst bereits vor dem Briefing geschrieben, wird gegengelesen und bei Bedarf angepasst. Anschliessend verfassen die Lawinenwarner für jedes Gefahrengebiet die Gefahrenbeschreibung. Vor der Publikation wird nochmals gegenseitig alles genau durchgelesen und korrigiert. Um 17 Uhr müssen die Produkte veröffentlicht sein, und schon kurz davor sendet SRF 1 täglich ein Live-Interview mit einem der Lawinenwarner. In der Zwischenzeit wurde der Text von „Schneedecke und Wetter“ von einem Übersetzungsbüro ins Französische, Italienische und Englische übersetzt. Die Übersetzungen werden von den Lawinenwarnern kontrolliert und spätestens um 18 Uhr publiziert.

Um 05.30 Uhr des nächsten Tages beginnt der Hauptdienst mit der neuen Analyse. Dabei richtet sich das Augenmerk auf unerwartete Entwicklungen in der Nacht, nicht ins Bild passende Informationen von Beobachtern und ändernde Wetterprognosen, die eine Anpassung der Einschätzung nötig machen könnten. Um 7 Uhr findet das Briefing statt, danach werden die Anpassungen vorgenommen und kontrolliert. Dank der automatischen Übersetzung der Gefahrenbeschreibung können letzte Änderungen noch bis unmittelbar vor dem Ausgabezeitpunkt um 8 Uhr vorgenommen werden.

Technische Systeme

Damit das Lawinenbulletin zweimal täglich erscheint, braucht es mehr als lawinenspezifisches Fachwissen und Informationen zum Schnee- und Wettergeschehen. Das Team „Warn- und Informationssysteme“ des SLF entwickelt für die Lawinenwarnung Softwarelösungen nach Mass, die nirgends im Handel erhältlich sind. Dazu gehören u.a. Datenerfassungstools, Analysewerkzeuge, Editoren zur Erstellung des Bulletins sowie eine Schnittstelle, um das Bulletin auf Web und Smartphone verfügbar zu machen. 

Analyse- und Visualisierung

Etwa 180 IMIS-Stationen sowie weitere automatische Stationen von MeteoSchweiz, über 200 Beobachter, Schneedecken- und Prognosemodelle, Meteomodelle und Wetterberichte – diese Datenflut kann nur bewältigt werden, wenn die Werte gut aufbereitet und visualisiert werden. Die interaktive, räumliche Datenvisualisierung erfolgt GIS-basiert. Dabei können sowohl Messungen als auch Beobachtungen oder Einschätzungen dargestellt und statistische Werte berechnet werden.

Bulletin-Editor

Das Lawinenbulletin wird mit SAFE erstellt, einem am SLF und teils in Zusammenarbeit mit dem Lawinenwarndienst Tirol entwickelten Bulletin-Editor. Die Informationen zu Schneedecke und Wetter sowie die Tendenz für die beiden an den Prognosezeitraum anschliessenden Tage werden mit einem Texteditor beschrieben. Dieser Text wird von einem Übersetzungsbüro in die Sprachen Italienisch, Französisch und Englisch übersetzt.

Die Gefahreneinschätzung und -beschreibung erfolgt separat für trockene Lawinen (Lawinenprobleme Neuschnee, Triebschnee, Altschnee oder Kein ausgeprägtes Lawinenproblem) und nasse Lawinen (Lawinenprobleme Nassschnee und Gleitschnee). Dabei weisen die Lawinenwarner jeweils jeder der über 140 Warnregionen der Schweiz per Mausklick die Gefahrenstufe zu und ergänzen diese mit der Angabe der besonders betroffenen Geländeteile. Warnregionen mit einer ähnlichen Lawinensituation werden, entsprechend den aktuellen Verhältnissen, zu „Gefahrengebieten“ zusammengefasst. Weitgehend schneefreie Warnregionen werden nicht eingeschätzt.

Satzkatalog für automatische Übersetzung

Für jedes Gefahrengebiet verfassen die Lawinenwarner eine eigene Gefahrenbeschreibung. Vor allem am Morgen ist das Zeitfenster zwischen dem Eintreffen der Beobachtungen aus dem Gelände und dem Ausgabezeitpunkt so kurz, dass eine manuelle Übersetzung nicht möglich ist. Deshalb wurde am SLF ein vollautomatisches Übersetzungssystem entwickelt, das mittlerweile von vielen Lawinenwarnungen Europas verwendet wird. Es basiert auf einem Katalog von vordefinierten Sätzen, die in alle benötigten Sprachen übersetzt und in der Datenbank gespeichert wurden. Bei der Erstellung des Bulletins werden die Gefahrenbeschreibungen nicht frei geschrieben, sondern aus diesen vordefinierten Sätzen zusammengestellt, so dass sie sofort in allen Sprachen zur Verfügung stehen. Damit sich alle möglichen Situationen beschreiben lassen sind die einzelnen Sätze nicht fix. Sie bestehen aus verschiedenen Segmenten, bei denen jeweils zwischen vordefinierten Optionen ausgewählt werden kann. Paper zum Satzkatalog: Download als .pdf.

Generieren der Produkte und Publikation

Wenn Gefahreneinschätzung und –beschreibung definitiv sind, kommt die Veröffentlichungs-Applikation zum Einsatz: Sie liest die trockene und die nasse Einschätzung sowie den Text «Schneedecke und Wetter» aus der Datenbank, und kombiniert diese Inhalte zum Lawinenbulletin. Dieses wird auf einer Schnittstelle den Visualisierungen auf WhiteRisk, aber auch externen Abnehmern zur Verfügung gestellt. Zudem werden pro Bulletinausgabe fast 600 verschiedene Printprodukte und diverse Spezialprodukte erstellt.

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