Geschwindigkeitsrekord in der Antarktis

Die Null-Grad-Grenze rund um den Südpol zieht sich deutlich schneller zurück als im globalen Durchschnitt, haben Forscher des SLF berechnet. Das hat Folgen für Umwelt und Biodiversität in der Region – aber auch für Wirtschaft und Politik.

In der Antarktis schreitet der Klimawandel deutlich schneller voran als im globalen Durchschnitt. Wie schnell, das hat SLF-Wissenschafter Sergi Gonzàlez-Herrero jetzt untersucht. Der Atmosphärenforscher hat sich angeschaut, wie stark sich die Null-Grad-Isotherme rund um die Antarktis, ein wichtiges Mass für den Gefrierpunkt (siehe Kasten), in den vergangenen Jahrzehnten in Richtung Süden verschoben hat.

Von 1957 bis 2020 waren es demnach im Durchschnitt 16,8 Kilometer pro Jahrzehnt. Zum Vergleich: Der globale Mittelwert liegt bei 4,2 Kilometern pro Jahrzehnt. Und die Geschwindigkeit steigt. Gonzàlez-Herrero hat für verschiedene Klimaszenarien nachgerechnet. «Wir erwarten für die kommenden Jahre je nach Klimaszenario einen Wert zwischen 24 und 69 Kilometern pro Jahrzehnt», prognostiziert der Forscher und erwartet Kettenreaktionen mit negativen Folgen für Umwelt und Wirtschaft.

Was sind … Isothermen?

Ähnlich der Höhenlinien auf Landkarten, die immer entlang einer fixen Höhe verlaufen, sind Isothermen Linien, die Orte gleicher Temperatur zeigen. Da Temperaturen schwanken, beziehen sie sich in der Regel auf Durchschnittswerte für einen bestimmten Zeitraum. Der Null-Grad-Isotherme (ZIL) kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, ist sie doch die Isotherme, die die durchschnittliche Lage des Gefrierpunkts zeigt.

«Weil sich die Null-Grad-Isotherme Richtung Süden verschiebt, verändern sich die Wechselwirkungen zwischen Ozean und Atmosphäre», erklärt Gonzàlez-Herrero. Noch stärker sind die Effekte an Land, vor allem auf der antarktischen Halbinsel, die sich weit nördlich vom restlichen Kontinent erstreckt. Dort erwartet der Forscher, dass sich in Zukunft die Wetterphänomene ändern, mehr Regen und Schneeregen an Stelle von reinem Schneefall mit negativen Folgen beispielsweise für Gletscher und Eisschilde.

Weniger Eis auf dem Meer bedeutet auch, dass der Sonnenschutz schwindet. Denn Eis und darauf gelagerter Schnee reflektieren das Licht und wirken so wie ein Schild für den Ozean. Verschwinden sie, erwärmt sich das Wasser stärker als bisher.

Gefahr für Pinguine

Es geht aber nicht nur um physikalische und meteorologische Prozesse, sondern auch um das Leben und die Biodiversität in der Antarktis. Nicht einheimische Arten, die nicht kälteresistent sind, könnten auf den Kontinent einwandern, insbesondere wirbellose Tiere. «Heimische fleischfressende Arten wie Pinguine, Robben und Wale hingegen müssen sich neue Regionen zum Leben suchen, wo sie die für sie idealen Umweltbedingungen und ausreichen Beutetiere vorfinden», sagt Gonzàlez-Herrero. Pinguine sind zusätzlich bedroht, da der Wechsel zu mehr Regen und dem damit verbundenen Schlamm und Abfluss ihre Nester und Küken gefährdet – und damit ganze Populationen. Das gesamte, antarktische Ökosystem könnte sich also markant verändern.

Folgen für Politik und Wirtschaft

Für die Tourismusbranche bedeutet das, dass sie ihre Reiseziele verlagern muss, will sie ihren Kunden weiterhin Fahrten zu Pinguinkolonien und ähnliche Ereignisse anbieten. Das ist aber ein vergleichsweise harmloser, wirtschaftlicher Aspekt. Gonzàlez-Herrero ist eher besorgt, dass es wegen des ökologischen Wandels zunehmend zu politischen Spannungen kommen könnte. Es geht um Rohstoffe, Fischgründe und die Suche nach einzigartigen Biomolekülen. Sie alle sind für die Menschheit leichter zu erreichen, wenn es in der Antarktis wärmer wird. Und das wird es. Schneller als bislang. «Nur wie schnell, das hängt davon ab, wie stark die globalen Temperaturen in Folge des Klimawandels steigen», sagt Gonzàlez-Herrero.

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