«Der Schnee muss zur Computertomographie»

Er ist wieder da. Zurück aus der Antarktis erzählt SLF-Techniker Matthias Jaggi von neuen Erkenntnissen über den Aufbau der Schneedecke, künftiger Arbeit mit den gesammelten Proben, um Klimamodelle zu verfeinern, ein persönliches Highlight seiner Karriere - und Verkehr.

Herr Jaggi, welche wichtige Erkenntnis haben Sie in den Wochen in der Antarktis erlangt?

Mir ist erneut bewusst geworden, wie inhomogen die Schneedecke ist. Der Wind beeinflusst den Aufbau immens, er häuft Dünen an, es entstehen schräge Schichten. Die sind eben nicht nur horizontal, Schicht auf Schicht, angeordnet. Ich bin gespannt, ob und wie das die Interpretation unsere Experimente erschwert.

Inwiefern?

Die Idee war, vier identische Schneeblöcke, also mit gleicher oder ähnlicher Schichtung, aus der vorhandenen Schneedecke auszuschneiden und darin bei jeweils unterschiedlichen Temperaturen die Schneemetamorphose zu untersuchen. Nun sind es nicht nur vier verschiedene Temperaturen sondern auch vier unterschiedliche Schichtungen und Mikrostrukturen der Blöcke. Das müssen wir bei der Interpretation der Resultate zusätzlich berücksichtigen. Ich gehe aber dennoch davon aus, dass wir die Ergebnisse verwenden können. Die sind vor allem für Klimaforschende wichtig. Denn bislang ging in deren Modelle der physikalische Prozess der Wechselwirkung zwischen der Schneemetamorphose und den stabilen Isotopen des Sauerstoffs (siehe Kasten) in den Wassermolekülen nicht ein. Um das Signal dieser Isotope im Eis zu verstehen, müssen wir alle physikalischen Prozesse verstehen, von der Verdunstung über den Ozeanen, der Wolkenbildung in der Atmosphäre, dem Niederschlag, der Schneeakkumulation, der Schneemetamorphose und der schlussendlichen Verdichtung über Firn zu Eis.

Was sind … Isotope?

Isotope, so heissen unterschiedlich schwere Atome des gleichen Elements. Sie unterscheiden sich in der Zahl der Neutronen im Atomkern. Chemisch betrachtet verhalten sich Isotope eines Elements in der Regel gleich oder zumindest ähnlich. Ihre physikalischen Eigenschaften hingegen unterscheiden sich. So sind beispielsweise nicht einmal zehn Prozent der mehr als 3000 Isotope stabil, sondern zerfallen radioaktiv.

Was machen die Klimaforschenden eigentlich mit dem Eis?

Das tiefste Eis in der Antarktis ist 1,5 Millionen Jahre alt. Sie bohren daher weit nach unten und holen Eiskerne als Proben an die Oberfläche. Darin befinden sich unter anderem Wasserisotope, die die Forschenden als Klimaindikatoren verwenden. Denn diese Isotope liegen je nach den Temperaturen, die in der Vergangenheit herrschten, in unterschiedlichen Verhältnissen zueinander im Eis vor. Auf deren Basis können die Wissenschafterinnen und Wissenschafter daher mit Modellrechnungen die Temperatur des jeweils zugehörigen Zeitraums in der Vergangenheit rekonstruieren. Unsere Ergebnisse sollen ihnen helfen, diese Klimarekonstruktion präziser zu machen.

Die Arbeiten sind demnach nicht mit Ihrer Rückkehr aus der Antarktis abgeschlossen?

Noch lange nicht. Ein Teil unserer Proben ist derzeit auf dem Weg von der Antarktis nach Frankreich, um dort untersucht zu werden. Ein anderer Teil wird wohl im Juni in Davos eintreffen. Da habe ich noch viel Fleissarbeit vor mir, der antarktische Schnee muss zur Computertomographie. Damit werde ich wohl bis Ende Jahr beschäftigt sein. Und dann ist da ja noch das Paper …

… also die wissenschaftliche Zusammenfassung der Methoden und Resultate.

Genau. Das Ziel wäre, dass ich mit tatkräftiger Unterstützung meiner Kolleginnen und Kollegen meine erste wissenschaftliche Publikation veröffentlichen könnte. Normalerweise ist das nicht die Aufgabe von technischen Mitarbeitern, aber sollte ich diese Herausforderung meistern, so wäre dies natürlich ein persönliches Highlight in meiner Karriere.

Wären Sie gerne länger geblieben?

Ich bin schon froh, wieder zurück zu sein, wieder selber entscheiden zu können, wie man seine Freizeit verbringt, mehr Möglichkeiten und einen grösseren Bewegungsradius zu haben. Das habe ich vermisst und das schätze ich nun wieder.

Und an was müssen Sie ich hier erst wieder gewöhnen?

Ganz klar an die vielen Menschen, den Verkehr und die Erwartung an Multitasking bei der Arbeit. In der Antarktis gibt es beinahe keinen künstlichen Lärm. Es ist sehr viel ruhiger und weniger hektisch. Und die Möglichkeit sich während zweier Monate gedanklich auf ein Projekt, eine Aufgabe zu fokussieren, wirkte auf mich extrem belebend. An das Multitasking muss ich mich definitiv wieder gewöhnen.

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