Antarktis-Blog Teil 4

SLF-Techniker Matthias Jaggi berichtet von seiner Expedition in die Antarktis. Teil vier: letzte Experimente, packen - und Crêpes für 52 Menschen

Leider geht die Zeit viel zu schnell vorbei. Anfang der dritten Januar Woche muss ich bereits beginnen, meine Arbeiten abzuschliessen. Wir hatten im Projektantrag an das IPEV (French Polar Institute Paul-Émile Victor) extra für den längst möglichen Aufenthalt angefragt, um die Laufzeit des Experimentes zu maximieren, aber dass seit Neustem die Forschungsstation Dome C ein bis zwei Wochen früher der Wintercrew übergeben wird, war nicht so klar. Insgesamt hatte ich zwar einen geglückten und frühen Start vom Experiment, muss es nun aber im Vergleich zu vor sechs Jahren fast zehn Tage früher abbauen, was nicht ganz optimal ist, aber immer noch besser als nichts. Deadline ist Freitag der 19. Januar. Dann kommt die dritte und letzte Traverse von Dumont d’Urville an. Wenn dann sämtliche Versorgungsgüter entladen sind, werden Forschungsmaterial und Proben, welche zurück nach Europa müssen, aufgeladen. Gemäss meiner Planung benötige ich fünf Tage, um das letzte Schneeprofil zu graben, meine Schneeblöcke abzubauen und zu vermessen, die noch dazukommenden Schneeproben zu vergiessen und mein Material in meine Aluminiumkisten zu packen.

Letzte Experimente

Damit ich den Zeitplan einhalten kann, plane ich alles akribisch genau. Somit bleibt mir auch kein Spielraum mehr, um Arbeiten wegen „ungünstigem“ Wetter etwas vor- oder nachzuschieben. Und wie das das Gesetz von Murphy es so will, muss ich am absolut schlechtesten Tag des Sommers mein letztes Profil graben. Das erste Mal ist der Himmel zu 100% bedeckt, der Wind bläst beachtlich und es schneit sogar leicht (normalerweise kann man den Niederschlag, den sogenannten Diamond Dust, nur mit viel Fantasie erkennen).

Boaaaahh, Volltreffer! Mein Glück ist aber, dass ich noch ein paar offene Helferangebote habe. Da ich ja dreiviertel der Zeit alleine im Schneeprofil gearbeitet hatte, musste ich mich aus arbeitsicherheitstechnischen Gründen alle halbe Stunde per Funk bei der Station melden. Und jeder mit Funk, also grundsätzlich alle, hörten halbstündlich meine Durchsage. Mein Name, meine Stimme, mein Englisch - all das muss sich in den Köpfen eingebrannt haben. Und viele werden sich wohl gefragt haben, was macht der Typ eigentlich tagtäglich da draussen in der «verbotenen Zone.» So habe ich immer wieder Helferangebote erhalten, welche ich dann, so nett, wie ich bin, am besagten Schlechtwettertag eingelöst habe. So ging dann auch das letzte Schneeprofil ganz flott über die Runden. Die Schneeblöcke habe ich zum Beproben aus dem minus-50-grädigem EPICA Lager ins Spacca-Ossa-Zelt (siehe Teil eins meines Antarktis-Blogs) transportiert.

Es macht schon einen Unterschied, ob man bei -50°C oder nur bei -15°C arbeiten muss. Etwas angespannt packe ich die vier Blöcke aus der Folie aus. Nun darf nichts schieflaufen. Die Blöcke sind zwar gross genug, um eine versaute Probe ein zweites Mal zu entnehmen, aber für mehr bleibt kein Platz. Zuerst werden die Ränder vom Block weggeschnitten, weil wir die Proben nicht aus dem Bereich der möglichen Randeffekte wollen. Die Heizplatten meiner Metamorphoseboxen haben zwar über die gesamte Fläche gleichmässig geheizt und die Isolationspanelen um den Block herum haben gut isoliert, aber trotzdem hat man zum Rand hin Wärmeverluste und entsprechend leicht abweichende Bedingungen von dem, was man anstrebt.

Für die Bestimmung der Schneemikrostruktur setze ich unter anderem auch den SnowImager wieder ein. Weil dieser aber für Messungen im Schneeprofil konzipiert ist, muss ich am Block etwas improvisieren. Wichtig ist, dass alles rundherum möglichst abgeschattet ist und dass sich die gesamte Höhe des Blocks im Gesichtsfeld der Kamera befindet. Mit einer Styroporkiste als Podest, einem aufgeklebten Massstab, ein paar Spannsets und einem grossen schwarzen Tuch kann ich mir behelfen. So beprobe ich alle Blöcke bezüglich Schneemikrostruktur und O-18-Isotopen. Wie sich beide Grössen verändert haben, werde ich erst in circa einem halben Jahr wissen. Die Isotopenproben werden von unserem Kollaborationspartner in Frankreich und die Schneeproben zur Mikrostruktur von mir am Computertomographen in Davos analysiert.

Packen

Und wie immer unterschätzt man das Aufräumen und Packen. Bereits leicht erschöpft mache ich mich an den letzten Akt. Ich lege sämtliches Material neben die Kisten, dass es einerseits trocknen kann und ich andererseits den Überblick habe, ob auch alles vorhanden ist. Es sieht ein bisschen aus wie vor 30 Jahren in meinem Kinderzimmer. Ein riesen Chaos, man wird gezwungen zum Aufräumen und hat nur mässig Lust dazu. In dem Fall ist es aber freiwillig, und entsprechend setze ich ein Lächeln auf. Auf den letzten Drücker klebe ich das letzte Adressetikett auf die Kiste, während die Kollegen von der Logistik bereits die ersten Kisten raustragen. Es ist erleichternd zu wissen, dass die Arbeit damit abgeschlossen ist, aber auch etwas frustrierend, dass die verbleibende Aufenthaltszeit nicht mehr im Sinne des Experimentes eingesetzt werden kann.

Crêpes für 52 Menschen

An den verbleibenden Tagen bis zur Abreise von Concordia versuche ich, mich irgendwie noch nützlich zu machen. An einem Tag helfe ich Kabel zu verlegen und Starkstromstecker zu montieren, an einem anderen Tag backe ich mit drei Helfern Crêpes für die verbleibenden 52 Stationsbewohner, oder unterstütze die überwinternde Glaziologin beim Schneeprofilen. Grundsätzlich gibt es immer etwas zu tun auf einer solchen Station, Langeweile wäre nur eine schlechte Ausrede. Zudem macht es für mich persönlich Sinn, mir eine grobe Tagesstruktur zu geben, um die „Nach-Expeditions-Depression“ etwas abzufedern. Man ist müde, die Arbeit ist erledigt, man plant, nach Hause zu gelangen, und die Rückreisedaten ändern sich von Tag zu Tag. Alles Faktoren, die nicht wirklich stimmungsfördernd sind.

Ob geflogen werden kann, hängt sehr stark vom Wind und der Sicht an der Küste und auf dem Hochplateau ab. Zum Beispiel haben wir stahlblaues Wetter auf Dome C, aber sehr starke katabatische Winde an der Küste, weshalb dann ein Flug nicht durchgeführt wird. Die Gutwetterfenster müssen also beidseitig lang genug sein, damit der Flug stattfindet. Diese Saison stehen drei Rückreiserouten auf dem Plan. Von Concordia ist es zuerst immer ein circa vierstündiger Flug an die Küste. Von Dumont d’Urville fährt man mit dem französischen Versorgungsschiff „L’Astrolabe“, von der Station Mario Zucchelli fliegt man über die amerikanische Station McMurdo nach Neuseeland zurück und in meinem Fall via die australische Station Casey nach Hobart zurück nach Tasmanien. Nicht so geplant, aber so ergeben, war der Flug nach Casey der Letzte. Stations- und technischer Leiter hatten die Station bereits verlassen, und wir sind gewissermassen nach dem Kapitän vom Schiff gegangen. Trotz des fast unendlich grossen Drangs, nach Hause zu kommen, überkommen mich die Tränen, als der Pilot Schub gibt und die Basler langsam aber stetig beschleunigt. Die 13 winkenden Überwinterer und die Station Concordia werden kleiner und kleiner. Ein Kapitel geht zu Ende.