Ms. Permafrost

11.02.2018  |  Rebecca Buchmüller  |  News SLF

Vater Engländer, Mutter Deutsche, aufgewachsen in der Westschweiz – Marcia Phillips ist so international wie das SLF selbst. Zum Tag der Frau in der Wissenschaft erzählt die erste Doktorandin am SLF und heutige Gruppenleiterin, wie ihr Forschungsalltag aussieht, was sie am Permafrost fasziniert und was sie Frauen rät, die Wissenschaftskarriere machen wollen.

Frau Phillips, Sie erforschen den Permafrost. Was macht man da genau?
Permafrost ist ja permanent gefrorener Boden, der immer bei oder unter 0 Grad Celsius ist. Wir schauen und messen, ob sich dieser verändert: vor allem ob er wärmer wird, aber auch ob sich der Eisgehalt ändert und was die Konsequenzen sind. Wenn zum Beispiel Eis schmilzt, kann es zu Hangbewegungen kommen. Oder wenn der Permafrost wärmer wird, kann die oberste Schicht, die im Sommer auftaut, dicker werden. Das hat dann Einfluss auf die Stabilität von Bauten wie Seilbahnen im Hochgebirge. Zudem untersuchen wir, wie sich die Klimaveränderung auf den Permafrost auswirkt. In den letzten zehn bis zwanzig Jahren hatten wir mehr Hitzesommer, es schneit später, die Dicke der Schneedecke variiert stark.

Welchen Einfluss hat die Schneedecke auf den Permafrost?
Einen grossen. Schnee ist ja eine Mischung aus Eis, Wasser und Luft. Diese Mischung ist wie eine Federdecke, die isoliert. Je mehr Schnee auf dem Boden liegt, umso wärmer bleibt der Boden, da die Wärme des Sommers nicht entweichen kann. Darum ist der Zeitpunkt des Einschneiens auch wichtig. Auch die Schneemenge: Wenn es wenig oder gar keinen Schnee hat im Winter, dann kann sehr viel Wärme aus dem Boden entweichen und der Permafrost kühlt ab, was eine Stabilisierung der Hänge zur Folge haben kann.

Und welchen Einfluss hat das Klima?
Das Klima kann einen sehr raschen, aber auch einen sehr langsamen Einfluss haben: Bei wenig Eis und mehrheitlich Fels, reagiert der Fels sehr schnell auf Erwärmung. Eisreiche Böden reagieren hingegen sehr träge, da es sehr viel Energie braucht, um Eis zu schmelzen. Die Änderungen im eisreichen Permafrost sind daher langsamer.

Was ist das faszinierende am Permafrost?
Permafrost ist nicht gleich Permafrost. Im kanadischen Yukon beispielsweise liegt wenig Schnee, der Boden ist viel kälter als in den Alpen, zudem feinkörnig, lehmig und sehr eisreich. Wenn man die Mächtigkeit der Auftauschicht messen will, nimmt man einfach eine Metallstange und rammt diese in den Boden bis zum Eis rein – undenkbar in den steinigen Böden der Alpen. Im Sommer taut der Boden auf, hebt und senkt sich, so dass die Bäume kreuz und quer stehen. Darum heisst der Wald dort auch „drunken forest“.

Was haben Sie studiert?
Physische Geografie an der Universität Lausanne, also Geomorphologie und Geografie. Man untersucht, wie sich die Landschaft gebildet hat. Im Studium waren wir eine kleine, verschworene Gruppe, die das Thema Permafrost besonders spannend fand. Darum haben wir hobbymässig am Wochenende Messungen mit selbstgebastelten Sonden gemacht. Zudem haben wir ein Blockgletscher-Inventar des Wallis und Waadtlands erstellt. Wir waren ziemlich besessen (lacht).

Können Sie noch durch die Natur gehen, ohne ständig Blockgletscher zu sehen?
Nein, nicht wirklich, das ist schon eine Déformation professionelle. Aber ich geniesse es. Beim Wandern habe ich immer einen Fotoapparat dabei. Die Leute wundern sich dann schon, wenn ich eine Moräne oder einen Blockgletscher fotografiere.

Und wie erkennt man einen Blockgletscher?
Blockgletscher sind zungenförmig und sehen ein bisschen wie Lava aus, die durch die Landschaft fliesst. An der Oberfläche hat es viele Felsblöcke und im Inneren sehr viel Eis. Das Eis sieht man aber gar nicht.

Wie sieht Ihr Forschungsalltag aus?
Der hängt von der Saison ab. Im Sommer sind wir sehr viel unterwegs. Letztes Jahr haben wir 26 Standorte in den Alpen abgeklappert. Das heisst viel Auto fahren, viel arbeiten im Gebirge – auch am hängenden Seil, was etwas speziell ist, da ich extreme Höhenangst habe (lacht). Wir haben aber einen top ausgebildeten Bergführer am Institut, der uns begleitet. Das gibt mir die nötige Sicherheit. Zudem ist es ein Jonglieren mit dem Wetter, denn gewisse Messungen wie Laserscans können wir nur bei klarer Sicht machen, andere wie Bohrlochmessungen gehen auch bei Regen oder Schneefall. Zudem müssen wir uns mit anderen Messtechnikern koordinieren. Da ist sehr viel Planung dahinter. Im Herbst und Winter analysieren wir dann die Daten und schreiben wissenschaftliche Publikationen.

Wie muss man sich so eine Messung vorstellen?
In den Schweizer Alpen hat das SLF an 26 Standorten insgesamt 30 Bohrlöcher, die mit Instrumenten bestückt sind. Diese messen alle zwei Stunden Temperatur und Hangbewegungen. Viele dieser Daten fliessen ins PERMOS, dem Schweizer Permafrost Monitoring Messnetz, das übrigens allen online zur Verfügung steht. Die längste Messreihe in der Schweiz beträgt 32 Jahre. Wie das Gelände, so deformieren sich auch die Bohrlöcher. Ein Mal pro Jahr müssen wir deshalb die Instrumente, die fest verankert sind, warten. Dass Instrumente so lange halten, insbesondere in den Bergen, wo sie den Kräften der Natur voll ausgesetzt sind, ist nicht selbstverständlich. Zum Glück haben wir am SLF sehr gute Elektroniker. Die bauen diese Instrumente und helfen mir auch beim Troubleshooting.

Wo zeigen sich Ihre Forschungsergebnisse in der Praxis?
Wir machen Monitoring, also keine Überwachung oder Warnung. Wir beobachten und ziehen Schlüsse aus unseren Messdaten. Sollten diese etwas Aussergewöhnliches zeigen, informieren wir die verantwortlichen Behörden und beteiligten Ingenieurbüros. Im Sommer 2018 beispielsweise gab es im Wallis einen Murgang aus dem Ritigraben. Das ist ein Blockgletscher, den wir schon lange messen und beobachten. Bereits im Frühling sahen wir, dass sich sehr viel Material im steilen Bereich an der Front des Blockgletschers angesammelt hatte. Daher konnten wir die Behörden genug früh informieren und ihre Warnsysteme haben gut funktioniert.


Das SLF hat ja viele unterschiedliche Forschungseinheiten. Tauschen Sie sich auch aus?
Ja klar. Der Permafrost ist ja sehr abhängig von der Schneedecke, am Institut haben wir praktischerweise einige Forschungsgruppen dazu. Zu meinem Team gehört neben einer PERMOS-Verantwortlichen und einem Vermessungsingenieur auch ein Schneeklimataloge, der einen Doktoranden betreut. Das Timing, wann der Schnee kommt und geht ist sehr wichtig. Langjährige Statistiken zeigen, dass der Schneefall immer später eintritt, was die Skifahrer natürlich ärgert, aber gut für den Permafrost ist. Leider geht der Schnee im Frühling auch früher, die isolierende Schneedecke ist weg, der Permafrost erwärmt sich und der Boden bzw. die Hänge werden instabil. Wir tauschen auch Instrumenten-Knowhow aus: Die Gruppe Lawinendynamik macht für uns Drohnenaufnahmen, umgekehrt machen wir für sie Laserscans. Wir untersuchen u.a. den Lawinenverbau im Permafrost, daher tauschen wir uns auch eng mit der Gruppe Schutzmassnahmen aus. Felsstürze werden zudem mit der Software RAMMS, die am SLF entwickelt wurde, modelliert.

Bis 1996 befand sich der Hauptsitz des SLF auf dem Weissfluhjoch. Sie selbst haben auch dort gearbeitet. Wie war das, täglich auf 2670 m zu arbeiten?
Das war genial, es war ja mein Traum: Als 8-jährige schrieb ich in einem Aufsatz, dass ich mal auf dem Weissfluhjoch arbeiten möchte. Und so kam es denn auch. Es war wunderbar. Wobei ich sagen muss, ich hatte den Eindruck, dass meine Gehirnzellen da oben etwas weniger gut funktionierten (lacht). Man merkt ein bisschen die Höhe und vor allem hat man sehr viel Hunger. Ich war ja nur ein gutes halbes Jahr oben. Doch ich habe alles erlebt: vom Runterfahren mit Ski bis Hochlaufen im Sommer bei Sonnenaufgang. Es war ein wirklich tolles Erlebnis.

In SLF-Filmen aus den 1940er Jahren sieht man, wie Frauen für die Wissenschaftler kochen, putzen – und die Skier wachsen. Wie hat sich das gewandelt?
Ich war 1996 die erste Doktorandin am SLF - und wurde sehr herzlich empfangen. Einige fragten sich zwar, was der Permafrost hier zu suchen hat. Doch ich durfte sofort Schneeprofile machen, Beobachterkurse besuchen. Die Mitarbeiter waren extrem offen. Heute hat es zwar viel mehr Forscherinnen am Institut, doch scheint es irgendwie schwieriger zu sein. Ich hatte wohl den Exotenbonus. Die ETH hat mit Fix the leaky pipline ein Programm geschaffen, um Frauen eine Perspektive in der Forschung zu geben.

Sie sind bislang die einzige Frau im Wissenschafts-Kader des SLF. Was raten Sie Frauen, die in der Wissenschaft Karriere machen wollen?
Nach dem Doktorat ins Ausland zu gehen! Ich wollte nach meiner Dissertation auch nicht unbedingt ins Ausland, man will endlich mal Geld verdienen, stabile Verhältnisse haben. Mein PostDoc in Kanada hat mir dann aber viele neue Türen geöffnet und mir den wissenschaftlichen Weg gezeigt, der mich wieder zurück nach Davos führte.

Apropos Davos, wie gefällt es Ihnen hier?   
Davos gefällt mir nicht so, deshalb wohne ich in Monstein. Ich empfinde es als grosses Privileg, dort zu arbeiten und zu wohnen, wo andere Ferien machen. Ich muss nur vor die Türe gehen, kann langlaufen, wandern, Skitouren machen. Wenn ich an einem Samstag die Zürcher Bahnhofstrasse entlang laufe, dann komme ich mir vor, als hätte ich den Mount Everest bestiegen (lacht laut). Ich kehre immer wieder gerne von Meetings zurück, die Luftsäule ist ja erdrückend im Unterland. Ich brauche die Natur, die Leichtigkeit und Frische der Alpen.

 

Das sagen WSL-Forscherinnen zum internationalen Tag der Frau in der Wissenschaft.

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Marcia Phillips am Jungfraujoch (BE), 2013; Foto: Hansueli Rhyner, SLF
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Entstehung eine Bohrloches am Gemsstock (UR), 2005; Foto: Andreas Bauder
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Bohrloch am Flüelapass (GR), 2016; Foto: Vali Meier
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Elektroniker am Werk: Wisse Schijen, Randa (VS), 2018; Foto: Marcia Phillips, SLF
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Hörnligrat, Matterhorn (VS) 2017, Foto: Marcia Phillips, SLF
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Marcia Phillips am Gemsstock (UR), 2015; Foto: Hansueli Rhyner, SLF

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