«Die Dimension der Lawinen war beeindruckend»

Thomas Stucki leitet den Lawinenwarndienst am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF. Im Interview erinnert er sich an den Lawinenwinter 1998/99. Es war der dritte Winter als Lawinenwarner für den damals 31-Jährigen.

Herr Stucki, sind Sie und ihre Kollegen im Winter 1998/99 vor lauter Schnee überhaupt noch an ihren Arbeitsplatz gekommen?

Für alle, die nah am Institut gewohnt haben, ging das gut. Ich selbst wohnte etwas entfernt in Frauenkirch und hatte immer eine Tasche mit Kleidern dabei für den Fall, dass die Straße geschlossen werden könnte. An einem frühen Morgen, ich war noch zu Hause, hatte mich der Leiter des Gemeinde-Lawinendienstes Davos angerufen, um sich mit mir über die Lawinensituation auszutauschen und dann gesagt, er würde jetzt die Straße nach Frauenkirch schließen. Ich habe mich darauf schleunigst auf den Weg ans SLF gemacht und für ein paar Tage bei einem Kollegen übernachtet.

Lesen Sie hier, was andere Mitarbeitende des SLF im schneereichen Winter 1998/99 erlebt und welche Erkenntnisse sie gewonnen haben.

Konnten Sie denn noch wie gewohnt arbeiten?

Im Grundsatz ja – wir gaben aber zusätzliche Lawinenbulletins heraus und brauchten mehr Leute, z.B. um die vielen Anfragen zu beantworten. Zudem mussten die vielen gemeldeten Lawinen, die bis in die Talsohlen abgingen, festgehalten werden. Schneedeckeninformation gab es eher weniger als sonst, weil der Aktionsradius der Beobachter stark eingeschränkt war. Es gab ja dann schlussendlich gebietsweise fünf bis acht Meter Neuschnee. Das sind gewaltige Mengen. Und es war gefährlich. Seit der Einführung der fünfteiligen europäischen Gefahrenstufenskala im Jahr 1993 war es das erste Mal, dass wir die Stufe fünf großflächig und über längere Zeit benutzt hatten. Ausserordentlich war auch, dass wir am Ende der dritten Periode Erkundungsflüge mit Helikoptern gemacht hatten. Davon habe ich schon noch ein paar sehr eindrückliche Bilder im Kopf.

Welche?

Die Dimension der Lawinen war beeindruckend, und die häufig eingeschneiten Lawinenverbauungen – gut hat es nicht noch mehr Schnee gegeben. Und dass teilweise das Gelände etwas anders aussah als sonst, weil da eben so viel Neu- und Triebschnee lag.

Wie funktionierte der Lawinenwarndienst damals?

Wir hatten ein und zwei Winter zuvor einiges neu eingeführt: Ein dreiköpfiges Bulletinteam, Bulletinausgabe um 17 Uhr als Prognose für 24 Stunden, erste regionale Lawinenbulletins für gewisse Gebiete morgens um acht Uhr zur räumlichen und zeitlichen Verdichtung der Information, und wir hatten ein neues, gemeinsames Produkt mit Meteo Schweiz, die Frühwarnung für Schnee und Lawinengefahr. Wir hatten wohl Computer-Tools zur Darstellung der Daten in der Datenbank, haben aber viel mit Papier und Farbstift gearbeitet. Viele Informationen kamen per Fax rein. Zum Informationsaustausch haben wir häufig mit regionalen Lawinendiensten telefoniert.

Die Telefonleitung hat demnach funktioniert.

Ja, schon. Auch Mobiltelefone gab es schon, es waren aber keine Smartphones. Da kommt mir noch etwas in den Sinn: Im Haus des Kollegen, bei dem ich übernachtet hatte, gab es gerade einen Ort, an dem Handyempfang war, und da lag das Pikett-Telefon dann auch immer – heute kaum mehr vorstellbar.

Und wenn der nächste Lawinenwinter kommt?

Wenn eine solche Situation heute eintreten würde, dann wäre es bestimmt wieder eine Herausforderung, weil wir mit ausserordentlichen, seltenen Lawinenlagen grundsätzlich wenig Erfahrung haben. Aber ich bin überzeugt, dass wir diese meistern würden.

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