AvaBlog 21. - 24. Dezember 2023

Von einem Starkschneefall, der keiner war

Die Wetterprognosen von Mitte der vergangenen Woche liessen die Herzen von Schneeliebhabern höherschlagen, während sich die Mitarbeitenden vom Lawinenwarndienst am SLF und wohl auch alle Sicherheitsverantwortlichen von Strassen, Ski- und Siedlungsgebieten, auf ein paar lange und intensive Arbeitstage einstellten. Doch Frau Holle änderte ihre Meinung und lud den Grossteil von ihrem Schnee anderswo ab. Genaueres zu dem Starkschneefall, der keiner war, folgt in diesem AvaBlog.

Bild 1 von 7
Starke Schneeverfrachtung oberhalb von Sedrun (GR) am 23.12. (Foto: P. Degonda)
Bild 2 von 7
Wer sucht der findet. In windgeschützten Mulden konnte man teilweise auch nach dem Sturm noch etwas lockeren Pulverschnee finden. (Davos, GR, 24.12.2023, SLF /F. Techel)
Bild 3 von 7
Am den allermeisten Orten war die Schneeoberfläche nach dem Sturm (24.12.) jedoch stark vom Wind geprägt. (Silberhorn, 2149 m, Liechtenstein; Foto: T. Wälti)
Bild 4 von 7
Teilweise hinterliess der Sturm aber auch Kunstwerke, so wie hier am Wannehörli (1942 m, Zweisimmen, BE). Im Hintergrund wurde die Flanke bis auf den Bodenabgeblasen. (Foto: U. Grundisch)
Bild 5 von 7
Während dem Sturm hatte die Aktivität von Gleitschneelawinen nachgelassen oder war zumindest in den Hintergrund gerückt. Am Sonntag, 24.12. gingen aber bereits wieder vermehrt grosse Gleitschneelawinen ab. (Rüedisch Tälli, Davos, GR,Foto: R. Stoeckel)
Bild 6 von 7
Ablagerung einer mittleren spontanen Lawine am Nospitz (2090 m, Liechtenstein) (Foto: F. Degen, 22.12.2023).
Bild 7 von 7
Am Freitag, 22.12. war der frische Triebschnee teils recht auslösefreudig. Ein Skifahrer hat diese kleine Lawine im Gebiet Rothwald (Ried-Brig, VS) fernausgelöst. (Foto: C. Koller).

Wetter

Nach ein paar sonnigen Tagen vor der Berichtsperiode, kündigten die Wettermodelle sehr grosse Neuschneemengen und Sturm für Donnerstag, 21.12. bis Samstag, 23.12. an. Angesichts der aussergewöhnlichen Neuschneemengen und den in den Bergen für die Jahreszeit überdurchschnittlichen Schneehöhen (Abbildung 1), wurde im Lawinenwarnraum sogar kurz diskutiert, ob man, sollte der Neuschnee wirklich im prognostizierten Mass kommen, eventuell sogar eine Lawinengefahrenstufe 5 (sehr gross) ausgeben müsste.

Doch es sollte anders kommen. Der stürmische, teils orkanartige Nordwestwind kam wie angekündigt, aber die sehr grossen Neuschneemengen blieben aus. Mehr zu dieser klaren Fehlprognose der Wettermodelle kann im Blog von Meteoschweiz nachgelesen werden.

Schlussendlich fielen von Donnerstagnachmittag bis Samstagnachmittag am nördlichen Alpenkamm vom Jungfraugebiet bis in den Alpstein, in Nordbünden und im nördlichen Unterengadin schätzungsweise 40 bis 70 cm Neuschnee, lokal vielleicht auch noch etwas mehr. Die modellierte Neuschneesumme über zwei Tage ist in Abbildung 2 dargestellt.

Die tatsächlichen Neuschneemengen abzuschätzen ist bei Sturm immer recht schwierig. Selbst an den in der Regel windgeschützten Schneestationen gab es während dem Schneefall teils Windspitzen von 60 bis 80 km/h. Dadurch wird Schnee am Messfeld intensiv verfrachtet und die Schneemessungen sind nicht mehr zuverlässig. So wurde zum Beispiel für die Station Titlisboden (2149 m, Wolfenschiessen, NW) von Donnerstag bis Samstag in Summe 128 cm Neuschnee berechnet (Abbildung 3). Wenn man sich die Daten aber genauer anschaut, sieht man, dass genau in dem Moment als die Windrichtung ein wenig wechselt (markiert durch die blau gestrichelte, vertikale Linie), die mittlere Windgeschwindigkeit markant zunimmt und die Linie der Schneehöhenzunahme plötzlich deutlich steiler wird. Die Vermutung liegt nahe, dass die Station, spätestens ab diesem Zeitpunkt, eingeblasen wurde, also der Wind Schnee auf das Messfeld blies. Andere Stationen wurden hingegen eher ausgeblasen, der Schnee also vom Messfeld wegerodiert.

Schneedecke

Vor der Berichtsperiode war es, wohl das erste Mal in dieser Wintersaison, während mehreren Tagen sonnig und die Nächte klar. So konnten sich an der Schneeoberfläche kantig aufgebaute Schneekristalle bilden und es entstand vielerorts auch Oberflächenreif. Dies war eine eher ungünstige Unterlage für die ab Donnerstag angekündigten Schneefälle. Da der Schneefall jedoch von aussergewöhnlichem Sturm begleitet wurde, lag die Vermutung nahe, dass der Sturm die Schwachschicht an vielen Orten zerstören würde bevor sie richtig eingeschneit wurde. Vermutlich blieb diese Schwachschicht vor allem in windgeschützten Hängen in etwas windberuhigteren Regionen intakt (s. Kapitel Unfälle). Die restliche Schneedecke wurde als recht stabil eingeschätzt. Da es seit Ende Oktober immer wieder geschneit oder wiederholt auch bis in hohe Lagen geregnet hatte und längere Schönwetterperioden ausblieben, konnten sich in der Schneedecke kaum ausgeprägte Schwachschichten bilden. Die tiefer in der Schneedecke im Bereich von älteren Regenkrusten (Mitte November entstanden) eingelagerten, dünnen Schwachschichten aus kantigen Kristallen waren schon mächtig überlagert und kaum mehr auslösbar (vgl. letzter Blog).

Lawinengefahr und Lawinen

Da der erwartete Starkschneefall ausblieb wurde auch die Lawinengefahr für Freitag verbreitet überschätzt. Der Lawinenwarndienst hatte ab der Nacht auf Freitag im Norden und in Graubünden verbreitet vor grosser Lawinengefahr gewarnt (vgl. Gefahrenverlauf ganz unten).
Obwohl der Sturm viel Neuschnee aber auch Altschnee verfrachtete, wurde die Gefahrenstufe 4 (grosse Lawinengefahr) bis am Freitagnachmittag eher nicht erreicht. Da Sturm und Niederschlag auch in der Nacht auf Samstag, 23.12. anhalten sollten, wurde gebietsweise für die Nacht nochmals vor grosser Lawinengefahr (Stufe 4) gewarnt. Wenn auch später als erwartet war am Freitagabend dann «das Mass im Unterengadin voll» und es gingen in der Nacht auf Samstag einige grosse oder auch sehr grosse Lawinen spontan ab (Abbildung 4).

In den übrigen Gebieten kamen kaum Rückmeldungen von grossen oder gar sehr grossen spontanen Lawinenabgängen. Demzufolge dürfte die Gefahrenstufe 4 (gross) auch in der Nacht auf Samstag vielerorts nur knapp oder gar nicht erreicht worden sein. Allerdings ist die Lawinenbeobachtung während und auch nach mehrtägigen Stürmen immer sehr schwierig, da die Sicht eingeschränkt und Lawinenanrisse schnell wieder zugeschneit bzw. eingeblasen werden.
Mit dem Ende der Niederschläge und den milden Temperaturen wurde ab Samstagmorgen nur noch vor erheblicher Lawinengefahr (Stufe 3) gewarnt.

Lawinenunfälle

Es wurden am Samstag, 23.12. und Sonntag einige Lawinen von Personen ausgelöst. Bis Redaktionsschluss wurde niemand ganz verschüttet und alle Unfälle gingen eher glimpflich aus.

Am Samstag wurde im Skigebiet Verbier im grossen, sehr steilen Osthang des Mont Fort eine grosse Lawine von einem Variantenfahrer ausgelöst. Der Bruch ereignete sich relativ oberflächennah und breitete weit aus, was vermuten lässt, dass die Lawine am Übergang vom Neuschnee zum Altschnee abging. Es scheint also tatsächlich so, dass die ungünstige Oberfläche von letzter Woche an windgeschützten Hängen teilweise erhalten wurde und Lawinen nun stellenweise in dieser Schwachschicht ausgelöst werden können.

Frohe Weihnachten

Der Lawinenwarndienst wünscht allen Lesern des AvaBlogs frohe Festtage und viele schöne und unfallfreie Touren während dem restlichen Winter.

Gefahrenentwicklung

Lawinenbulletins dieser Zeitperiode im Überblick.

 

den nächsten AvaBlog öffnen