18.09.2025 | Matthias Jaggi | SLF News
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Nicht nur das arktische Eis ist uns in rekordverdächtigem Tempo unter den Füssen weggeschmolzen, sondern auch die Expedition verflog viel zu schnell. Seit anfangs September sind wir zurück am Institut und gehen unserer „normalen“ Tätigkeit nach. Viel zu schnell ist man wieder im Alltagstrott und umso wichtiger ist es, zeitnah zu rekapitulieren und die neuen Erkenntnisse in den wissenschaftlichen Kontext einzuordnen und niederzuschreiben. So scheint es auch gleich ein guter Zeitpunkt zu sein, um einen dritten und letzten Teil dieses Expeditionsblogs zu schreiben.
Mit fortschreitender Klimaerwärmung und den von Jahr zu Jahr geringeren Eisausdehnungen und -konzentrationen ist die Arktis und das arktische Ökosystem einem starken Wandel unterworfen. Wo es früher noch dauerhaftes, dickes Eis gab, findet man heute zum Teil nur noch erbärmliche Reste. Es ist klar, dass die Veränderungen der polaren Gebiete globale klimatische Folgen haben. Um die Folgen dieser Veränderung abschätzen zu können, muss man die Prozesse verstehen. Die Expedition CONTRASTS hatte genau das zum Ziel. CONTRASTS daher, weil man Unterschiede zwischen verschiedenen Eisregimen aufzeigen will – das heutige Eis, das Eis der Zukunft und Eis der Vergangenheit.
Das typische Eis der Gegenwart bildet sich in der zentralen Arktis, ist Teil der Transpolardrift und ein Mix aus Ein- und Zweijahreseis. Das zukünftige Eis wird leider nur noch saisonales Eis sein; Bildung im Winter und komplettes Wegschmelzen im Sommer. Das Eis der Vergangenheit ist gekennzeichnet durch Mehrjahreseis; Eis, das sich bildet und mehrere Jahre zum Beispiel im Beaufortwirbelsystem überlebt.
Gesagt, getan. Die drei erkorenen Eisschollen aus den verschiedenen Zonen haben wir mit der Polarstern je viermal angefahren, wobei die erste Eisscholle aus der Randzone die dritte Runde leider nicht überlebt hat. Diese ist in Einzelteile zerbrochen und in russisches Hoheitsgebiet gedriftet. Damit wären die auf der Scholle installierten Messbojen eigentlich verloren gewesen, aber dank dem Zurückdriften in norwegisches Gewässer konnten wir das meiste wieder aus dem Wasser fischen. Die autonom messenden Bojen waren nur das eine. Das andere und bereits aus den vorherigen Blogbeiträgen bekannt, waren unsere Messungen auf den Schollen. Einer unserer beiden Schwerpunkte war das „mysteriöse Material“ auf dem Meereis physikalisch zu charakterisieren. Was aus der Ferne betrachtet wie Schnee ausschaut, hat in Tat und Wahrheit wenig mit dem Schnee zu tun den wir aus den Alpen kennen. Wissenschaftlich nennt man es „Oberflächenstreuschicht“ oder zu Englisch „Surface Scattering Layer“ (SSL). Diese Schicht entsteht schon auch aus dem im Winter gefallenen Schnee, ist aber vor allem durch Schmelz- und Gefrierprozesse von Salz- und Süsswasser und den Änderungen des Freibordes mit dem damit verbundenen „Fluten und Trockenlegen“ geprägt. Dank den physikalischen Ähnlichkeiten zu Schnee können wir aber trotzdem unsere bekannten Schneemessgeräte- und Methoden anwenden. Das Hauptziel von CONTRASTS ist der Unterschied zwischen den Eisregimen und die Heterogenität der einzelnen Scholle statistisch zu erfassen, um die Prozesse in Klimamodellen genauer parametrisieren zu können. Unsere Aufgabe ist also die Heterogenität der Oberflächenbeschaffenheit vom Schnee oder eben der SSL zu messen und wer sich mit Statistik auskennt, merkt schnell: je fleissiger und je mehr wir messen desto bessere wird die Statistik. Und das haben wir uns zu Herzen genommen und versucht jede Minute auf dem Eis zu nutzen. Natürlich gab es Tage, wo man sich lieber zuhause gewünscht hätte und die zigste Messung auf einem Transect verflucht hat. Ganz ehrlich, tausend Mal ein Gerät auf die Schneeoberfläche zu halten, einen Knopf zu drücken und dann fünf Sekunden zu warten bis man zur nächsten Messposition verschieben kann, das kann ganz schön monoton sein. Da war es sicher ein Vorteil, dass wir uns drei schon sehr gut gekannt haben und uns an Tagen mit Durchhängern gegenseitig motivieren konnten.
Der zweite Schwerpunkt waren die Messungen mit der Leinwand und der Wärmebildkamera, um die bodennahen turbulenten Wärmeflüsse zu messen. Einschränkend war definitiv die permanent hohe Luftfeuchtigkeit und Eisbildung auf der Leinwand, was dazu führt, dass man nicht mehr ungestört die Lufttemperatur messen kann. Dennoch haben wir die Messvorrichtung auf jeder Scholle aufgebaut, die Leinwand selbst aber erst aufgespannt, wenn die Prognosen der Expeditionsmeteorologin vielversprechend waren. Der Fahrtleiter hat sogar mal die gesamte Besatzung auf uns warten lassen und die Weiterfahrt herausgezögert, damit wir ein prognostiziertes kurzes nebelfreies Wetterfenster nutzen konnten. Mit etwas schlechtem Gewissen waren wir dann zu dritt und Bärenwächter auf dem Eis und waren sehr erleichtert als sich der Nebel dann endlich aufgelöst hat und wir für zwei Stunden noch messen konnten.
Mit einer Vielzahl von Messungen kehren wir zufrieden nach Hause. Die einzelnen Messungen sind in sich nichts Aufregendes. Wie aber die ersten Auswertungen dieser unzähligen Messungen zeigen, sieht man klare Unterschiede zwischen den Eisregimen und im saisonalen Verlauf. Obwohl die Expedition und die Feldarbeit richtig spannende und abwechslungsreiche Arbeit war, beginnt der richtige Krimi erst jetzt. Die Daten zu analysieren, die eigenen Daten mit Ozean-, Eis- oder atmosphärischen Daten zu koppeln, um die Prozesse zu verstehen, da beginnt nun der zweite Teil der Arbeit. Und da schlägt das Forscherherz definitiv höher.
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