Schnee und Lawinen in den Schweizer Alpen 2000/01

Zusammenfassung

Zusammenfassung Winter 2001 (Oktober 2000 bis Mai 2001)

  • Durch zahlreiche Südstaulagen von Oktober bis März schneereicher Winter im Süden, insbesondere im Tessin, Oberengadin und Südbünden.
  • Im Süden hohe Wasserwerte der Schneedecke, aber kaum Extremwerte.
  • Schneearmut im Norden und allgemein in tiefen Lagen.
  • Warmer Winter, besonders in den Föhngebieten des Nordens.
  • Überwiegend stabile Schneedecken im Süden, schwache Schneedecken im Norden, und hier insbesondere in den inneralpinen Regionen.
  • Viele Lawinenunfälle mit vielen Lawinentoten (32)
  • Nasse Lawinen überwiegen deutlich.
  • Widerspiegelung der Verhältnisse in der Verwendung der Gefahrenstufen: Stufe 3 (erheblich) wurde öfter ausgegeben, Stufe 1 (gering) deutlich seltener als im langjährigen Mittel.

Der Winter startete im Oktober im Süden in der Höhe mit extremen Schneemengen, darunter traten Starkniederschläge auf. Bereits in der ersten Oktoberhälfte bildete sich am Alpenhauptkamm und im Engadin oberhalb von 2500 m eine durchgehende Schneedecke. Im Süden und im Wallis fielen zur Monatsmitte verheerende Starkniederschläge (vgl. Abbildung 1), während es im Norden föhnig war. Die Auswirkungen waren im Süden katastrophal. Am 14. Oktober wurde ein Drittel des Dorfes Gondo zerstört. Der Lago Maggiore trat über die Ufer und erreichte den höchsten Stand seit 1868. Im Wallis verloren 16 Menschen in Fluten und Erdrutschen ihr Leben. Brig war am Rand einer neuen Katastrophe (nach 1987).

Mitte Oktober wurde von Süden her das erste Mal in diesem Winter Saharastaub auf dem Schnee abgelagert (vergleiche Lawinenaktivität/Corvatsch). Zu Novemberbeginn setzte sich die Serie von Südstaulagen fort, die bis im März andauerte. Der Frühwinter war daher in den Südalpen und im Oberengadin sehr schneereich. Am 1. Dezember lag dort oberhalb von 2200 m eine Schneedecke von 150 bis 250 cm, was etwa das Doppelte bis Dreifache der um diese Zeit üblichen Schneemenge war. Ausgenommen vom Schneereichtum waren die Simplonregion und das Goms.

Im Norden lag wenig Schnee, unterhalb von 1500 m bildete sich erst Anfang Januar eine Schneedecke, während es im Süden schon Anfang November unter 1000 m durchgehend weiss war.

Das Bild der Schneeverteilung – schneereich am Alpenhauptkamm, im Oberengadin und südlich davon, schneearm nördlich davon – blieb den ganzen Winter bestehen, weil eine Südweststaulage nach der anderen im Süden Schnee brachte. Erst im Februar, April und Juni brachten ergiebige Schneefälle im Norden einen Ausgleich.

Nur die schneereichste Station im Oberengadin am Corvatsch (2690 m) erreichte einen neuen Rekord des Wasserwertes der Schneedecke, misst aber an diesem Standort erst seit dem 1. Oktober 1993. Allgemein aperten die Stationen im schneereichen Süden normal oder früher als normal aus, weil die ganz ergiebigen Frühjahrsschneefälle im Süden ausblieben. (Anmerkung: Die Station Corvatsch stellt eine Besonderheit dar. Die Gegend des oberen Oberengadins empfängt Niederschlag von Süden. Die Station am Corvatsch (2690 m) liegt deutlich höher als die umliegenden Stationen und hat dadurch geringere Durchschnittstemperaturen, einen höheren Gesamtniederschlag und mehr Anteil an Schnee am Gesamtniederschlag.)

Die Lawinengefahr war öfter als in anderen Wintern mit Stufe 3 (erheblich) eingestuft worden, dem gegenüber kam die Gefahrenstufe 1 (gering) seltener zur Anwendung. Die 132 Unfälle, in denen 32 Personen den Tod fanden, zeigen ebenfalls, dass es sich um einen Winter mit erhöhter Lawinengefahr handelte. Allerdings ging die Gefahr weniger vom schneereichen Süden aus, in dem kaum Schadenlawinen registriert wurden, obwohl die Situation optisch gefährlich wirkte (vgl. Abbildung 2).

Die Unfälle ereigneten sich mehrheitlich im Norden, wo der Schneedeckenaufbau schlechter war und Schneefälle in den Ferienzeiten immer wieder zu kritischen Situationen führten. Hervorzuheben ist hier der 3. und 4. Februar als sich zahlreiche Lawinenunfälle ereigneten, weil die klassischen lawinenbildenden Faktoren zusammenspielten (kantige Kristalle an der Schneeoberfläche, Neuschnee, Wind, Ferienzeit).

Ende Februar (22. bis 28.) ereigneten sich noch einmal zahlreiche Unfälle (vgl. Abbildung 3) nach dem ergiebigsten Schneefall des Winters (bis 84 mm Wasserwert an einem Tag) in der Osthälfte der Schweiz.

Am 23. und 24. März war die Einschätzung der Lawinengefahr grossflächig auf der Stufe 4 (gross). In dieser Zeit gingen die meisten und grössten Lawinen im ganzen Winter ab.

Ein einzelner spektakulärer Lawinenabgang, bei dem zum Glück keine Personen zu Schaden kamen, ereignete sich am 7. Januar am Julierpass, wo die geöffnete, viel befahrene Strasse tagsüber auf 400 m Länge verschüttet wurde.

Schneehöhenverlauf

Der Winter 2000/01 war charakterisiert durch zahlreiche Südstaulagen von November 2000 bis April 2001. Diese verursachten ausserordentlich grosse Schneemengen in den Tessiner Bergen, im Oberengadin sowie im südlichen Mittelbünden. Überdurchschnittlich viel Schnee lag im Vergleich zu anderen Wintern auch auf den Bergen des südlichen Wallis. Eine Ausnahme bildeten die Simplonregion und das Goms, denn hier waren die Schneehöhen nur im November 2000 überdurchschnittlich, danach unterdurchschnittlich.

Die grossen Schneehöhen wurden nur am Alpenhauptkamm und südlich davon gemessen. Regionen in den nördlich angrenzenden Gebieten, in denen üblicherweise bei Südstaulagen auch viel Schnee fällt, waren in diesem Winter eher schneearm. Beispiele aus Graubünden: Zervreila, Hinterrhein und Juf waren schneereich, die 7 bis 12 km entfernten, etwas tiefer liegenden Stationen Vals, Splügen und Innerferrera waren schneearm, jeweils verglichen mit dem langjährigen Mittelwert zwischen 1971 und 2000.

In den nördlich angrenzenden Regionen, namentlich im Chablais, am nördlichen Alpenkamm, im nördlichen Mittelbünden und in Nordbünden sowie im Unterengadin waren die Schneehöhen während des gesamten Winters etwa durchschnittlich. In den höheren Lagen des Alpennordhanges fiel der ergiebigste Schnee erst im April (vergleiche Abb. 12, Grindelwald Bort).

Die Alpentäler (Gebiete unterhalb von rund 1300 m, nördlich und südlich des Alpenhauptkammes) und das Mittelland waren generell sehr schneearm.

Die in Abbildung 4 gezeigte Schneeverteilung war für die Monate November bis April immer ähnlich.

Der Winter begann mit einem Grossschneefall im November 2000. In den drei Tagen vom 7. – 9.11.2000 fielen im Süden 40 – 80 cm Neuschnee, was einer Wiederkehrdauer von 1 – 2 Jahren entspricht.

Durch die rasche Abfolge mehrerer Südstaulagen bildete sich im Süden rasch eine dicke und zunehmend stabile Schneedecke. Am Corvatsch (2690 m) fielen im November 336 cm Schnee. Der November und April sind in den Südalpen erfahrungsgemäss die Schnee-Niederschlagsreichsten Monate. Am San Bernardino hatten die Novemberschneefälle 2000 (273 cm) eine Wiederkehrdauer von 4 Jahren, in Robiei (443 cm) von 5.5 Jahren.

Die Aufeinanderfolge mehrerer Südstaulagen über den ganzen Winter hinweg führte zu der ungleichen Schneeverteilung, wie sie für diesen Winter typisch ist: Viel Schnee im Süden, nach Norden hin weniger Schnee (vgl. Abbildung 4).

Summiert man die Neuschneesumme von anfangs November bis Ende April, so fiel aber erstaunlicherweise in diesem Winter im Süden etwa gleich viel Schnee wie im Norden. Die sieben schneereichsten Vergleichsstationen mit mehr als 900 cm Neuschneesumme sind: Grindel, Hasliberg, Trübsee, Elm, Corvatsch, Maloja, Robiei). Die Erklärung liegt darin, dass Regionen, die bei Nordstaulagen viel Niederschlag bekommen, in diesem Winter relativ wenig Neuschnee erhalten haben, während das eher trockene Oberengadin relativ schneereich war. Die blaue Farbe in Abb. 4 bedeutet ja "viel Schnee im Vergleich zum langjährigen Durchschnitt" und nicht einfach nur "viel Schnee".

Der Zeitpunkt des Maximums der Gesamtschneehöhe im Süden ist von der Meereshöhe der Stationen abhängig. Tiefer liegende Stationen wie Nante (7.2.) und Maloja (9.2.) erreichten ihr Maximum früher als Robiei (14.3.), Buffalora (13.3.) oder Bernina Diavolezza (31.3.). An allen Stationen schneite es zu Novemberbeginn ein. Die Schneedecke aperte in Nante am 27.4. aus, an den anderen Stationen deutlich später, nämlich zwischen dem 13.5. in Buffalora und dem 6.6. in Robiei.

Auf den folgenden Graphiken wird jeweils der Verlauf der manuell gemessenen Schneehöhe (dicke rote Linie) im Vergleich zur höchsten an dieser Station je gemessenen Schneehöhe an jedem Tag (obere blaue Linie), dem absoluten Minimum (lila Linie) und dem langjährigen Mittelwert (wenig schwankende grüne Linie) dargestellt. Die Anzahl der Winter von Messbeginn bis und mit 2008 (n) wird im Text angegeben. Zu beachten ist, dass die Skalierung der Schneehöhenachse unterschiedlich ist.

Ausgewählte Beobachterstationen

Stationen aus dem schneereichen Süden

Inneralpine Regionen und Nordbünden

Alpennordhang

 

Wasserwerte der Schneedecke

Im Tessin wurden zwar hohe Wasserwerte der Schneedecke gemessen, jedoch keine Extremwerte. In Robiei betrug der maximal gemessene Wasserwert 1365 mm, das Maximum aus dem Jahr 1986 jedoch 2141 mm. Damals waren insbesondere die Aprilniederschläge viel ergiebiger als 2001.

Einen beachtlichen Wasserwert von 880 mm wurde an der Station Corvatsch (2690 m) gemessen (Wasserwertmessungen erst seit dem Winter 1998). In Maloja (54 Beobachtungsjahre) wurde das Maximum aus dem Jahre 1960 mit 762 mm fast erreicht (740 mm Mitte März 2001).

Alle Stationen des Alpensüdhanges verzeichneten überdurchschnittliche Wasserwertmaxima. In Nordbünden war das Gegenteil der Fall. Die Ausnahme war die Station am Weissfluhjoch, wo der Mittelwert des maximalen Wasserwertes übertroffen wurde. Das erklärt sich durch die deutlich höhere Lage, verglichen mit den umliegenden Stationen.

Im Wallis waren die Wasserwerte meist unterdurchschnittlich, am Alpenhauptkamm und an der Grenze zu Frankreich normal. Am Alpennordhang erreichten nur Adelboden und Grindel Wasserwertmaxima knapp über normal, überall sonst war weniger Wasser in der Schneedecke gespeichert als im Durchschnitt.

Temperaturen

Das Jahr 2000 ging als zweitwärmstes Jahr in die Annalen ein. Auch die Monate Oktober bis Dezember 2000 waren sehr mild. Während der vielen Südstaulagen wehte im Norden der Föhn, was das Schweizer Temperaturmittel im Winter ansteigen liess. Im November und Dezember wurden in den typischen Föhntälern Temperaturen bis +20°C registriert. In den Niederungen der Alpennordseite zählte der Winter vielerorts zu den wärmsten seit 1901. Der Frühling endete hochsommerlich. Im Hochgebirge lag der Wärmeüberschuss im Winterhalbjahr bei 3 bis 3.7°C. Der sonnige Mai 2001 zählte zu den wärmsten seit Messbeginn 1864.

Entwicklung der Schneedeckenstabilität

Die folgenden Schneedeckenstabilitätskarten stellen die Ergebnisse zahlreicher Schneedeckenuntersuchungen in den Schweizer Alpen dar. Diese Schneeprofile wurden nach einheitlichen Kriterien beurteilt und einer von drei Klassen zugeordnet, die auf den Karten als grüne (gute, stabile Schneedecke), gelbe (mittlere) und rot (schwache) Profilsymbole dargestellt sind. Fast alle Schneeprofile stammen von 30 bis 40° steilen Hängen und beinhalten einen Rutschblocktest.

Ein Orkantief verursachte zu Novemberbeginn Niederschläge und Sturm in den Südalpen (vgl. Abbildung 14). Der Föhn wehte mit bis zu 200 km/h am Gütsch ob Andermatt und mit bis zu 290 km/h am kleinen Matterhorn. Die Starkniederschläge führten im Puschlav zu grossen Wasserschäden. Im Norden dagegen war es meist trocken und sehr mild.

Es werden im Folgenden jeweils zwei Schneedeckenstabilitätskarten, zu Monatsbeginn und zu Monatsmitte, gezeigt und beschrieben.

Zu Dezemberbeginn zeigt sich ein eher ungewöhnliches Bild für den Frühwinter mit überwiegend gut verfestigter Schneedecke (vgl. Abbildungen 15 und 16). Die Schneehöhen waren südlich einer Linie Arolla – Andermatt – Davos –Samnaun deutlich überdurchschnittlich für diese Jahreszeit, was sich positiv auf die Schneedeckenstabilität ausgewirkte.

Mitte Dezember ergab sich ein ähnliches Bild bei etwas grösserer Dichte an Schneedeckuntersuchungen. Die Schneedecke war tendenziell am Alpennordhang schwächer, dort lag etwa die Hälfte der um diese Zeit normalen Schneemenge.

Um Weihnachten haben sich die oberflächennahen Schichten in mehreren Strahlungsnächten kantig umgewandelt, wodurch auf einer ursprünglich guten Basis vielerorts schwache Zwischenschichten entstanden (vgl. Abbildung 17). Das führte, neben anderen Gründen, zum Jahreswechsel zu mehreren Unfällen ohne gravierende Folgen, weil die abgleitenden Schneemassen noch eher klein waren.

Mitte Januar verschlechterte sich die Schneedeckenstabilität besonders in den inneralpinen Regionen Graubündens und des Wallis (vgl. Abbildung 18). Das spiegelt sich auch in den Lawinenunfällen wider. Die dokumentierten 17 Lawinenunfälle zwischen dem 7. und 16. Januar ereigneten sich alle in den schneearmen, inneralpinen Regionen. Am Alpensüdhang und im Oberengadin waren die Schneehöhen zwei Mal so hoch wie normal, aber auch dort waren stellenweise Oberflächenreifschichten eingeschneit worden.

Zu Februarbeginn verschlechterte sich die Schneedeckenstabilität deutlich (vgl. Abbildung 19, 22 und 23). Einerseits schneite es kräftig (in den Nordstaugebieten 20 – 90 cm mit starkem Wind) und der Neuschnee lag teilweise auf kantigen Oberflächen. Andererseits stieg die Temperatur stark an, wobei die Nullgradgrenze über 3000 m lag. Die zahlreichen stabilen Profile im Norden sind vor den Schneefällen erstellt worden und vermitteln dadurch einen zu positiven Eindruck. Inneralpin, bzw. in den schneeärmeren Regionen wie z.B. dem Prättigau, war die Schneedecke stellenweise komplett aufgebaut. Der Temperaturanstieg und die Einstrahlung hatten an steilen Nordhängen keinen Einfluss, weil hier die negative Strahlungsbilanz überwog (siehe unten Profil Eggberg, Abbildung 22). Im Süden lag nach wie vor viel Schnee (120 – 190% vom langjährigen Mittel) (vgl. Abbildung 21).

Bis Mitte Februar stabilisierte sich die Schneedecke durch milde Temperaturen und geringe Neuschneemengen wieder (vgl. Abbildung 20). Lokal blieben aber eingeschneite kantige Schichten störbar, wiederum besonders inneralpin und im Simplongebiet unterhalb von ca. 2400 m. Darüber fiel Mitte Oktober auch dort viel Schnee und der Schneedeckenaufbau war daher stabiler. Die 3 stabilen Profile im Saastal und am Simplonpass entstanden in Höhen zwischen 2600 und 3200 m.

Ergiebige Schneefälle mit Schwerpunkt in der Ostschweiz bis nach Nordbünden führten ab dem 22. Februar zu einer erneuten Destabilisierung der oberflächennahen Schichten. Insbesondere im Val Müstair/GR war die Schneedecke sehr sensibel auf Zusatzbelastung. Bis zum Monatsende wurden 14 Lawinenunfälle dokumentiert, glücklicherweise ohne Todesopfer.

Anfang März setzte sich die Schneedecke langsam, blieb aber insbesondere im Bündner Oberland und im Oberwallis störanfällig (vgl. Abbildung 28).

Mitte März war die Stabilität durch die eingeschneiten Schwachschichten (oder komplett aufgebaute Fundamente) und Neuschnee vom Goms über das Gotthardgebiet bis zum Alpstein sowie in der Berninaregion beeinflusst (vgl. Abbildung 29). Der Schneedeckenaufbau war mit Ausnahme des Oberengadins, des Tessins und des angrenzenden Gotthardgebietes für die Jahreszeit untypisch schwach.

Ende März und Anfang April verhinderten mehrere Schneefälle bei milden Temperaturen eine nachhaltige Konsolidierung der Schneedecke – wiederum insbesondere in den inneralpinen Gebieten. Nach Süden und Norden hin war die Schneedecke stabiler (vgl. Abbildung 30).

In der ersten Aprilhälfte sorgten sehr ergiebige Schneefälle von Nordwesten im ganzen Schweizer Alpenraum (ausser Tessin und Bündner Südtäler) für eine deutliche Veränderung der Situation. Der Schnee fiel in rund 7 Schüben, so dass sich dazwischen die Schneedecke setzen und verfestigen konnte. Die Neuschneesummen für die erste Aprilhälfte sind unten dargestellt (vgl. Abbildung 32) und erreichten an einigen Stationen des Alpennordhanges 250 cm. Die Konsequenz der schubweisen Niederschläge war, dass mehrere Stunden nach dem Schneefall die Schneedecke bereits deutlich an Stabilität gewonnen hatte. Untersuchte man die Schneedecke jedoch während des Schneesturms, so war sie noch schwach und zeigte Rutschblockstufen 2 und 3 (siehe die beiden rot gekennzeichneten Profile im Prättigau) (vgl. Abbildung 31).

Milde Temperaturen und kein weiterer Neuschnee führten in allen Regionen zu einer raschen Konsolidierung der Schneedecke Anfang Mai (vgl. Abbildung 33). Die Stabilität war zu dieser Zeit, wie üblich, einem Tagesgang mit Verfestigung in der Nacht und Festigkeitsverlust am Tag unterworfen.

So ist erklärbar, weshalb eine eher stabile Schneedecke Ende April noch so viele Lawinen produzieren konnte, wie in Abb. 36 dargestellt ist.

Lawinenaktivität

Der Lawinenaktivitätsindex ist ein dimensionsloses Mass für die Lawinenaktivität. Dabei werden die Lawinengrössen unterschiedlich gewichtet. Rutsche erhalten das Gewicht 0.01, kleine Lawinen das Gewicht 0.1, mittlere Lawinen das Gewicht 1 und grosse Lawinen das Gewicht 10. Pro Klasse werden die Anzahl gemeldeter Lawinen mit dem entsprechenden Gewicht multipliziert und die Resultate dann addiert. Der Lawinenaktivitätsindex erlaubt zu visualisieren, an welchen Tagen wie viele und wie grosse Lawinen abgegangen sind. Er wird separat dargestellt für trockene Lawinen und Nassschneelawinen (nasse und gemischte Lawinen). Datengrundlage bilden die Meldungen der SLF-Beobachter.

Der Lawinenaktivitätsindex muss unter folgenden Vorbehalten interpretiert werden:

  • Der abgebildete Lawinenaktivitätsindex gilt für die ganzen Schweizer Alpen, ist also nicht in einzelne Regionen unterteilt. Er ist als grobe Angabe zu verstehen.
  • Lawinenbeobachtungen hängen stark von den Sichtverhältnissen während der Beobachtung, von der Meldegenauigkeit und der Einschätzung des jeweiligen Beobachters ab. Häufig ist bei erhöhter Lawinenaktivität die Sicht so schlecht, dass viele Lawinen unbeobachtet bleiben oder erst später gesehen werden (was unter Umständen die Zuordnung des Abgangsdatums zu einem Tag erschwert).
  • Die Lawinen beziehen sich auf die Gebiete, die von den Beobachtern eingesehen werden. Es werden nie alle Lawinen in den Schweizer Alpen beobachtet.
  • Gemischte Lawinen (die als trockene Schneebrettlawine anreissen und weiter unten in nassen Schnee vorstossen) werden den Nassschneelawinen zugeordnet. Vor allem an Tagen mit trockenen Lawinen und Nassschneelawinen dürfte die Anzahl der Nassschneelawinen eher überschätzt sein.
  • Keine Unterscheidung in spontane oder künstlich ausgelöste Lawinen.
  • Beschränkt sich die Lawinenaktivität auf eine einzelne Region, so kann dort zwar die Lawinenaktivität hoch sein, der Index bleibt aber relativ klein, weil er sich auf die ganzen Schweizer Alpen bezieht.
  • Im November ist die Beobachtungsdichte geringer als in der übrigen Zeit des Winters, was zu zusätzlicher Ungenauigkeit führt.

Die erste Lawinenperiode (vgl. Abbildung 34) ereignete sich bereits Mitte bzw. Ende November 2000 und war bedingt durch massive Schneefälle im Süden. Die Lawinenabgänge konzentrierten sich auf den Alpensüdhang und das Oberengadin. Am 19. November ging am Corvatsch / Oberengadin auf 3100 m eine grosse Lawine ab, die eine Pistenmaschine beschädigte. Drei Personen überlebten mit viel Glück. Die Anrissmächtigkeit betrug 50 bis 250 cm und die Lawine war 1100 m lang. Die Gleitfläche der Lawine war eine Saharastaubschicht einer vorangegangenen Südstaulage. Am Matterhorn wurde das Zmutt-Biwak zerstört.

Ende November gingen in den ganzen Schweizer Alpen zahlreiche Lawinen ab. Auch hier dominierten nasse Lawinen, mit zunehmender Höhe wurden aber auch mittlere und grosse trockene Lawinen registriert. Das Lawinen-Aktivitätsmaximum dieser Periode war am 29.11.2000.

Es folgte eine Phase mit wenigen Lawinenabgängen bis zum 07.01.2001. In Abbildung 34 sind zum Jahresende mehrere Tage mit einigen trockenen Lawinen, die im Vergleich zu anderen Phasen sehr harmlos wirken. Dies sind vielfach durch Personen ausgelöste trockene Schneebrettlawinen – 3 Personen wurden dabei verletzt.

Ab dem 7. Januar gingen zahlreiche trockene, mittlere und grosse Lawinen im Wallis und in Graubünden ab.

Am 7. Januar löste sich am Piz Albana/Julierpass/GR eine Lawine, stürzte den 1000 m hohen SW-Hang hinab und verschüttete die Julier-Passstrasse auf 400 m Länge. Die Strasse war geöffnet und viel befahren (Rückreiseverkehr aus den Engadin zum Ende der Weihnachtsferien. Der 7. Januar war ein Sonntag). Zum Glück kam bei dem Unfall niemand zu Schaden. Die Strasse blieb daraufhin für 2 Tage gesperrt.

Am 10. und 11. Januar dominierten dann nasse Lawinen und davon waren die ganzen Schweizer Alpen betroffen. Zwei tödliche Lawinenunfälle ereigneten sich am 13. Januar im Unterwallis und im Oberengadin; ein tödlicher am 16. Januar im Goms (vgl. Harvey, 2003). Die Lawinen, die in Abbildung 34 dargestellt sind, ereigneten sich oft bei Schneesturm oder Regen, touristische Unfälle hingegen oft zur Zeit der Wetterbesserung und besserer Sicht, daher liegen touristische Unfälle mit Todesfolge oft ausserhalb der Spitzen beobachteter Lawinenaktivität.

Zum Februarbeginn führten ergiebige Schneefälle im Norden (10 – 90 cm Neuschnee in 4 Tagen), verbunden mit dem Beginn der Hauptferienzeit und schwacher Schneedeckenstabilität in den inneralpinen Regionen, zu einer weiteren Spitze der Lawinenaktivität und einer Lawinen-Unfallserie am 3., 4. und 5. Februar (20 Lawinenunfälle). Die meisten Lawinenunfälle ereigneten sich in den Gebieten, in denen nicht der meiste Neuschnee fiel.

Nach wenigen Tagen Pause stieg die Lawinenaktivität wieder massiv an. Betroffen waren die gesamten Schweizer Alpen und die Lawinen waren überwiegend nass. Am 10. und 11. Februar ereigneten sich nochmals 10 (dokumentierte) Lawinenunfälle und im Oberengadin wurden verschiedene Fahrzeuge, eine Hochspannungsleitung und Wald beschädigt oder zerstört. Die Giandainslawine drang bis in den Dorfkern von Pontresina vor (10. Februar, vgl. Harvey, 2003).

Vom 18. Februar bis 3. März beruhigte sich die Situation und es wurden nur wenige Abgänge registriert – jedoch häuften sich vom 22. bis 28. Februar touristische Lawinenunfälle (14 Unfälle mit 6 Toten).

Den ganzen März über, bis Anfang April riss die Phase intensiver Lawinenaktivität kaum mehr ab und erreichte vom 22. bis 26. März ihr absolutes Maximum des Winters 2000/01. Interessanterweise kam in dieser Periode niemand zu Schaden. In den ganzen Schweizer Alpen wurden vorwiegend nasse Lawinen registriert, die oftmals gross waren. Die Lawinenaktivität war begleitet von Niederschlägen beidseits der Alpen (ca. 20 bis 60 mm in 5 Tagen) und hohen Temperaturen (auf 2000 m +10°, auf 2500 m bis +5°C).

Mitte April führten ergiebige Schneefälle bis in mittlere Höhen nördlich der Linie Rhone-Rhein (30 bis 90 cm, gemessen an VG-Stationen vom 15. bis 17. April) zu einer Spitze der Aktivität trockener Lawinen. Dasselbe wiederholte sich vom 23. bis 25. April in kleinerem Ausmass noch einmal.

Im Mai und Juni ereigneten sich im Jungfraugebiet und am Piz Palü noch drei weitere touristische Lawinenabgänge mit Todesfolge im extremen Steilgelände.

Über den ganzen Winter betrachtet waren nasse Lawinen (inkl. gemischte Lawinen, vgl. oben) mehr als doppelt so häufig gemeldet worden wie trockene Lawinen, obwohl unter den gemeldeten gesprengten Lawinen nur trockene Lawinen waren.

Mit 32 Lawinentoten starben deutlich mehr Personen in diesem Winter in Lawinen als im Durchschnitt (25). Trotz der aussergewöhnlich grossen Schneemengen am Alpensüdhang wurden dort relativ wenig Schadenlawinen registriert.

Umfangreiche Lawinenunfall-Analysen sind in "Lawinenunfälle in den Schweizer Alpen – Winter 2000/01" von Stephan Harvey zu finden (Harvey 2003).

Gefahrenstufen

Die prozentuale Verteilung der Gefahrenstufen des Nationalen Lawinenbulletins und das langjährige Mittel (12 Jahre) sind in Abbildung 36 illustriert. Die Verteilung für jeden Tag ist in Abbildung 37 ersichtlich, die Häufigkeit über die letzten Jahre in Abbildung 38.

Folgende Punkte sind für die Häufigkeit und die flächige Verteilung der Gefahrenstufen im Winter 2000/01 charakteristisch:

  • Die Gefahrenstufe 5 (sehr gross) kam nicht zur Anwendung.
  • Am 24.3. wurde fast flächendeckend die Stufe 4 (gros) prognostiziert. Das ist zeitgleich mit der grössten Aktivität von Nassschneelawinen (vgl. Abbildung 34)
  • Grosse Lawinengefahr wurde in neun weiteren Perioden prognostiziert – jedoch eher kleinräumig (rund 10 - 25% der Schweizer Alpen) und meist nur ein oder zwei Tage lang.
  • Umgekehrt ist auch die Prognose geringer Lawinengefahr (Stufe 1) selten grossflächig, was eher ungewöhnlich ist. Ungewöhnlich ist auch die zeitliche Verteilung der Stufe gering. Die Zeiträume „Vorweihnachtszeit bis Jahreswechsel“ und „Sportferien“ sind traditionell oft lawinenaktive Perioden.
  • Interessant ist, dass sich die Zeiten grosser spontaner Lawinenaktivität und vermehrter Lawinenunfälle nur in drei kurzen Phasen decken, nämlich am 04. und 05. Februar, am 10. und 11. Februar und am 13. und 14. März 2001. An diesen Tagen herrschten die Gefahrenstufen 4 (gross) (6.8%), 3 (erheblich) (73.7%) und 2 (mässig) (19.5%). Umgekehrt bedeutet das: Viele Lawinenunfälle ereigneten sich an Tagen an denen das Alarmzeichen „spontane Lawinen wahrscheinlich“ nicht sichtbar war.
  • Die Phasen grosser spontaner Lawinenaktivität fallen teilweise in den Bereich, an dem auch grosse Lawinengefahr prognostiziert wurde. Das Kriterium ist hier: Beobachtet wird nur was sichtbar oder eventuell hörbar ist. Die Gefahrenstufe gross wird fast immer im Zusammenspiel mit ergiebigen Niederschlägen erreicht – also einer Witterung mit Schneefall, Regen, Wind, Nebel, Wolken, fehlende direkte Sonneneinstrahlung (diffuses Licht) - und all diese Faktoren wirken sich auf die Beobachtbarkeit von Lawinenabgängen negativ aus. Das heisst: es ist davon auszugehen, dass bei grosser Gefahr deutlich mehr Lawinen abgehen als beobachtet werden.

Die Verwendung der Gefahrenstufen hat im Winter 2000/01 deutlich vom langjährigen Mittelwert abgewichen. Die Gefahrenstufe gering wurde deutlich weniger häufig ausgegeben als normal. Erheblich und gross wurden öfter verwendet als normal, mässig etwas weniger. Die Gefahrenstufe sehr gross kam nicht zur Anwendungen.

Lawinenbulletins

Tab. 1: Ausgabeperioden der Lawinenbulletins für das hydrologische Jahr 2000/01 (01.10.2000 bis 31.09. 2001).

Produkt Datum
Mitteilungen Herbst 11.10.2000

13.10.2000

16.10.2000

30.10.2000

02.11.2000

03.11.2000

05.11.2000

06.11.2000

09.11.2000

Erstes tägliches Nationales Lawinenbulletin 13.11.2000
Erste Regionale Lawinenbulletins 15.12.2000
Letzte Regionale Lawinenbulletin 16.04.2001
Letztes tägliches Nationales Lawinenbulletin 07.05.2001
Mitteilungen Frühling und Sommer














Mitteilungen Frühherbst

10.05.2001

14.05.2001

17.05.2001

21.05.2001

23.05.2001

28.05.2001

31.05.2001

05.06.2001

08.06.2001

11.06.2001

15.06.2001

15.09.2001

17.09.2001

21.09.2001

Sommer (Juni bis September 2001)

Juni bis September

Die Schneedecke begann im April im Süden intensiv zu schmelzen, so dass trotz grosser Schneemengen die Schneedecken in höheren Regionen früher ausaperten als durchschnittlich. Auch im Norden schmolz der Schnee rasch, jedoch fiel am 11. Juni oberhalb von 2000 m mit 50 bis 80 cm nochmals ungewöhnlich viel Schnee, wodurch sich das Abschmelzen der Schneedecke deutlich hinauszögerte (vgl. Abbildung 34 und 35).

Das Schneemessfeld am Weissfluhjoch, auf 2540 m ü.M., aperte am 6. Juli aus (Mittelwert 7.7.). Am 6. September schneite es wieder und der Schnee blieb für 4 Wochen liegen. Am 11. Oktober war das Schneemessfeld wieder aper. Auf 2000 m fiel im Norden ebenfalls Schnee, allerdings blieb er kaum eine Woche lang liegen.

Im Süden und im Engadin fiel im Sommer unterhalb von 2800 m kein Schnee von Bedeutung.

Temperaturen

Die erste Junihälfte war deutlich zu kalt, im Norden fiel Schnee bis 1600 m, danach waren die Temperaturen normal.

 

Bemerkungen

Produkte

Das ortsbasierte Lawinenbulletin, bei dem man via WAP die Gefahreneinschätzung an seinem Standort abfragen konnte, wurde testweise eingeführt. 3 Jahre später wurde diese Informationsquelle wieder abgeschaltet, weil sich zeigte, dass die Zellen der Mobilfunksender der Swisscom im alpinen Raum nicht genau genug zu den Gebietsgrenzen im Lawinenbulletin passen und mehr Information als nur die Gefahrenstufe nötig ist, um gute Entscheide treffen zu können.

Erläuterungen zum Lawinenaktivitätsindex

Die Berechnung des hier verwendeten Lawinenaktivitätsindex geschieht wie folgt:

Generell wird zwischen trockenen und nassen Lawinen unterschieden und diese werden auch getrennt dargestellt. Zu den nassen Lawinen zählen: nasse Schneebrettlawinen, nasse Lockerschneelawinen, trockene und nasse Schneebrett- und Lockerschneelawinen (d.h.: wenn ein Beobachter an einem Tag trockene und nasse Lawinen gleichzeitig beobachtet hat und sie als "gemischt" klassiert, so zählen sie in der Berechnung zu den nassen Lawinen. Im Nachhinein sind diese Lawinen untrennbar.)

Zu den trockenen Lawinen zählen alle trockenen Schneebrett- und Lockerschneelawinen.

Grösse:

  • Lawinen mit der Codierung „Beobachtung nicht möglich“ und „Keine Lawinen“ und „Art / Ausmass der Lawine nicht bekannt“ wurden im Lawinenaktivitätsindex nicht verarbeitet.
  • Die Lawinenmeldungen wurden gewichtet, um grossen Lawinen mehr Gewicht zu geben als kleinen. Folgende Gewichtungen wurden vorgenommen:
  • Anzahl kleine Lawinen * 0.1
  • Anzahl mittlere Lawinen * 1
  • Anzahl grosse Lawinen * 10
  • Rutsche konnten im Winter 2000/01 noch nicht gemeldet werden und sind in den kleinen Lawinen enthalten.
  • „Mehrere grosse Lawinen ohne Schaden“ wiegen so viel wie 150 „kleine Lawinen“.

Gemischte Lawinen können sein: mehrere trockene und mehrere nasse Lawinen – oder: Lawinen brach oben als (wahrscheinlich) trockene Lawine ab und kam unten als nasse Lawine an.

Mehrere Lawinen: die Anzahl der Lawinen verschiedener Grösse ist bekannt. Wurden jedoch trockene und nasse Lawinen beobachtet, so ist die Aufteilung unklar.

Personelles

Am 24.04.2001 verstarb unser Freund und Mitarbeiter Frank Tschirky (44) im Himalaya an einem Herzversagen.

Literatur

Harvey , S., 2008: Lawinenunfälle in den Schweizer Alpen. Winter 2001/02. Personen- und Sachschäden. Davos, Eidg. Institut für Schnee- und Lawinwnforschung SLF. 111 S.