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MfM-U: Auswirkungen des Transitverkehrs auf die Lebensqualität der Bevölkerung

 

Grundlagenuntersuchungen und Entwicklung von Monitoring-Indikatoren

Ausgangslage

Der Transitverkehr kann gravierende Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Bewohner von Transiträumen haben. Unter Transitverkehr ist sowohl der individuelle Pkw-Verkehr, der Güterverkehr auf der Strasse als auch der schienengebundene Personen- und Güterverkehr zu verstehen. In dem hier vorgestellten Grundlagenforschungsprojekt stehen die Auswirkungen der bestehenden Transitachsen und des Baus neuer Transitstrecken auf die wahrgenommene landschaftsbezogene Lebensqualität im Vordergrund. Der durch den Transitverkehr verursachte Lärm und die beeinträchtigte Luftqualität können für die landschaftsbezogene Lebensqualität indirekt ebenfalls eine Rolle spielen.

"Landschaftsbezogene Lebensqualität" bedeutet in erster Linie die Befriedigung der beiden grundlegenden Bedürfnisse nach Identifikation und nach Erlebnis (Hunziker & Buchecker, 1999).

  • Das Identifikationsbedürfnis wird erfüllt, wenn wir uns in der Landschaft als Individuum und als soziale Gruppe wiedererkennen. Dies gelingt am besten, wenn wir an ihrer Entwicklung direkt teilhaben und unsere "Spuren" hinterlassen können (Weichhart, 1990).
  • Das Erlebnisbedürfnis wird dann weitgehend befriedigt, wenn die grundlegenden menschlichen Emotionen Sicherheit, Erregung und Autonomie (Bischof, 1985; Fuhrer & Kaiser, 1994) erlebt werden können. Dies kann durch aktive oder passive Aneignung der Landschaft geschehen (Hunziker & Buchecker, 1999). Unter aktiver Aneignung seien hier körperliche Aktivitäten wie Wandern, Skifahren, Hängegleiten, Biken usw. verstanden; unter passiver Aneignung die Landschaftswahrnehmung und das damit verbundene Schönheitsempfinden, kurz das "ästhetische Landschaftserlebnis".

Problemstellung

In den Transiträumen der Schweiz hat die Transitinfrastruktur das Landschaftsbild massgeblich bestimmt und verändert. Neben der grossflächigen Versiegelung der Böden durch den Bau von Transitachsen führte die Dichte der Transportwege zu einer stärkeren Ansiedlung von Personen, die direkt oder indirekt vom Transitverkehr leben. In den neu entstandenen Ballungszentren entlang der Verkehrswege besteht ein grundlegender Konflikt zwischen den Ansprüchen der Bevölkerung nach hoher Lebensqualität und den Nutzungsentscheidungen in Zusammenhang mit dem Transitverkehr. Dieser entfaltet seine Auswirkungen auf die Bevölkerung auf zweierlei Weise: zum einen durch die bestehenden Transitachsen und den Transitverkehr und zum anderen durch die Entwicklung von neuen Transitverkehrswegen, wie z.B. im Rahmen der geplanten Nord-Süd-Achse der SBB für den Güterverkehr (Tagesanzeiger vom 20.4.2002, S. 8). Die Auswirkungen dieser beiden Aspekte auf die landschaftsbezogene Lebensqualität der Bevölkerung und die damit zusammenhängende Ortsbindung (Altman, 1992; Hidalgo & Hernandez, 2001) sind bislang weitgehend unerforscht und somit sind auch die gesellschaftlichen Folgen des Transits bislang weitgehend<br/>unbekannt.

Die Auswirkungen des Transits auf das Landschaftsbild hingegen sind bekannt: Da die Fläche, die für die Transitwege benötigt wird, nicht mehr für den Siedlungsbau zur Verfügung steht, müssen ehemals landwirtschaftlich genutzte Flächen bebaut werden. Die Bebauung dieser Flächen führt zwangsläufig zu einem Verlust an Erholungsflächen. Welche Auswirkungen der Mangel an Erholungsräumen für die Bevölkerung hat und wie diese darauf reagiert, ist noch nicht gänzlich geklärt; eine denkbare Folge ist eine erhöhte Freizeitmobilität, da die Bewohner der Transiträume möglicherweise verstärkt Erholungsgebiete in entfernteren Gebieten aufsuchen, wenn sie ihr Erlebnisbedürfnis in ihrer Wohnregion nur in unzureichendem Masse befriedigen können (Gustafson, 2001; Moore & Graefe, 1994; Fuhrer et. al., 1993).

Eine weitere potentielle, noch genauer zu erforschende Folge des Transitverkehrs und der schnellen und unwiderruflichen Landschaftsveränderung durch den Bau neuer Verkehrsachsen ist der grundlegende Identit ätsverlust der ansässigen Bevölkerung (Speller & Sime, 1993; Röllin & Preibisch, 1993; McAndrew, 1998), der unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass diese Personen wenig Freiheitsgrade hinsichtlich der Gestaltung ihrer eigenen Region haben. Durch den fehlenden Einfluss der Bevölkerung auf die Transitachsen und die Planung neuer Verkehrswege ist es ihnen verwehrt "Spuren" in ihrer Heimat zu hinterlassen, bzw. bestehende "Spuren" können nicht überdauern. Dies wiederum erschwert das Aufrechterhalten oder die Bildung eines engen Ortsbezugs und damit auch einer mit der Wohnregion verknüpften Identität. Inwiefern dieser Identitätsverlust in Transitregionen tatsächlich stattfindet, wie ausgeprägt er ist und ob er wie vermutet - zu einer Abwanderung der Einheimischen führt, muss noch genau erforscht werden.

Eine Abwanderung der lokalen Bevölkerung wiederum würde zu einer stärkeren Vergandung und Verbuschung der bestehenden Kulturlandschaften führen. Diese Entwicklung wäre zumindest dann als negativ zu bewerten, wenn sie zahlreiche Flächen betreffen würde, da eine grossflächige Verbuschung von der Mehrzahl der Bevölkerung als unerwünscht wahrgenommen wird (Hunziker, 1994, 2000). Diese Landschaftsveränderungen würden - ab einem bestimmten Ausmass - also abermals die Bindung an die Region in unerwünschter Art und Weise beeinflussen. Ob in den Transitgebieten der Schweiz der besagte Schwellenwert bereits überschritten ist, bleibt zu überprüfen. Ausserdem ist nach wie vor fraglich, in welchem Ausmass die besagten Entwicklungen entlang der Transitachsen indirekt (z.B. durch Abwanderung in die Städte) die gesamte Schweizer Gesellschaft beeinflussen.

Insgesamt ist davon auszugehen, dass die landschaftlichen Veränderungen durch den Transitverkehr gravierende Konsequenzen für die Befriedigung der landschaftsbezogenen Bedürfnisse nach Identifikation und Erlebnis der lokalen Bevölkerung haben können. Mögliche Folgen sind die Entfremdung vom eigenen Lebensraum mit all ihren negativen Konsequenzen für eine nachhaltige Entwicklung: Gleichgültigkeit gegenüber künftiger Entwicklung, Rückzug in Privatsphäre, erhöhte Freizeitmobilität oder gar definitiver Wegzug.

Im Sinne einer nachhaltigen Raumentwicklung ist der vermutete Verlust der grundlegenden Landschaftsfunktionen in den Transiträumen bedenklich und es besteht ein Bedarf an der Entwicklung geeigneter Massnahmen, um den negativen Auswirkungen des Transitverkehrs entgegenzuwirken. Als Basis für eine vorausschauende Raumentwicklung ist es zudem wichtig, neben kurzfristigen Auswirkungen auch die Langzeiteffekte des Transitverkehrs auf die Bevölkerung und die wahrgenommene landschaftsbezogene Lebensqualität zu ermitteln.

Ziele

Das Hauptziel des Projektes besteht darin, zu ermitteln, wie die Befriedigung der beiden grundlegenden Landschaftsbedürfnisse durch den Transitverkehr, sowie den Bau neuer Transitachsen beeinflusst wird. Hierbei geht es nicht nur darum den kurzfristigen Einfluss des Transitverkehrs zu erforschen sondern vielmehr darum seine langfristige Auswirkungen auf die Bevölkerung dieser und der angrenzenden Räume zu ermitteln. Ein weiteres Ziel besteht deshalb darin, anhand der beschriebenen Grundlagenforschung geeignete Indikatoren für die Langzeitbeobachtung von Transiträumen zu entwickeln, die einer langfristigen<br/>Raumplanung zugute kommen.

Um diese Ziele zu erreichen, müssen folgende Forschungsfragen beantwortet werden:

  1. Worin äussert sich aus Sicht der Bevölkerung die Beeinflussung der Lebensqualität durch den Transitverkehr? Welche Rolle spielen in den Augen der Bevölkerung die landschaftsbezogenen Veränderungen? Wie wichtig erscheint ihnen die Befriedigung der Bedürfnisse nach Identifikation und Erlebnis?
  2. Welche einzelnen Attribute der Transitachsen (wie z.B. der Mangel an Einflussmöglichkeiten auf den Verkehr und die Transitachsen, Lärm, Zerschneidung von ehemals intakten Landschaften) sind von welcher Relevanz für die landschaftsbezogene Lebensqualität?
  3. Kann sich die Bevölkerung auch mit einer zerschnittenen Landschaft (im schlimmsten Fall zerschnittenen Dörfern) identifizieren? Zu welchem Landschaftsausschnitt besteht eine starke emotionale Bindung? Wirkt möglicherweise sogar die Transitachse gemeinschafts- und identitätsstiftend (cf. Frage 6)? Welches Gewicht haben die Folgeeinrichtungen des Transitverkehrs, wie z.B. Rastplätze, Tankstellen, Bahnhöfe, neben anderen Aspekten der Landschaftsveränderung?
  4. Welchen Einfluss hat die Bauphase neuer Transitachsen auf die landschaftsbezogene Lebensqualität?
  5. Welche möglichen Handlungskonsequenzen sind feststellbar? Gibt es Hinweise darauf, dass vor allem das Bedürfnis nach Erlebnis in entfernten Gebieten gesucht wird, wodurch wiederum die Freizeitmobilität zunimmt? Gibt es stärken Wegzug in andere weniger beeinträchtigte Gebiete? Oder wird aufgrund der Beeinträchtigung der Lebensqualität der Rückzug in Privatsphäre verstärkt? Transitachsen schaffen für die entsprechenden Regionen auch Einnahmequellen und damit auch zahlreiche Arbeitsplätze. Leben die neu in den transitverbundenen Gewerben tätigen Menschen in den Transitachsen oder ziehen sie längere Fahrtzeiten zum Arbeitsplatz vor?
  6. Wie verläuft die langfristige Entwicklung in Transiträumen? Gewöhnt sich die Bevölkerung längerfristig an die Transitachse (als Teil des Lebensraums akzeptiert, längerfristig ein "Identifikations-Aufhänger"; Freizeit-Nutzung trotz Beeinträchtigung, Erlebnisbedürfnis trotzdem zu befriedigen)? Oder verstärkt sich ein negativer Effekt längerfristig (schleichende Entfremdung)?
  7. Welche Massnahmen und Strategien wären geeignet, dazu beizutragen dass – ohne Einschränkung des Transitverkehrs und ohne bauliche Massnahmen, also einzig über kommunikative/soziale Prozesse – eine Schmälerung der landschaftsbezogenen Lebensqualität durch den Transitverkehr verhindert, bzw. gar deren Erhöhung erreicht werden kann?

Forschungsdesign

Die oben dargestellten Forschungsfragen 1 bis 5 können ausschliesslich anhand von Grundlagenforschung beantwortet werden. Hierbei ist es aufgrund der geringen Kenntnisse notwendig in einer induktiven Phase Informationen über die wahrgenommenen Auswirkungen des Transitverkehrs auf das Verhältnis zur Wohnregion, mögliche Verhaltenseinschränkungen und Kompensationsmechanismen zu erlangen, und die Zusammenhänge zwischen dem Einfluss des Transitverkehrs sowie dem Neubau von weiteren Transitstrecken einerseits und der wahrgenommenen landschaftsbezogenen Lebensqualität der Bewohner andererseits aufzudecken. Zur Beantwortung der Forschungsfragen 1 bis 5 ist es aber ebenfalls notwendig, die Einstellungen der Bevölkerung der Transiträume zu ihrem Lebensraum und der wahrgenommenen landschaftsbezogene Lebensqualität in repräsentativer Weise zu erheben. Dies wird im Rahmen der deduktiven Phase erfolgen, die auf den Erkenntnissen der induktiven Phase aufbaut.

Zur Beantwortung der Forschungsfrage 6 ist es erforderlich die wahrgenommene landschaftsbezogene Lebensqualität in regelmässigen Abständen in repräsentativer Weise zu erheben. Das Erhebungsinstrument für ein solches Monitoring soll daher auf der repräsentativen Befragung aus der Grundlagenforschung basieren. Dieses Monitoring ist somit als Produkt aus der Grundlagenforschung anzusehen. Die Frage nach den Massnahmen und Strategien, die zur Verbesserung der wahrgenommenen Lebensqualität der Bewohner von Transiträumen führen (Forschungsfrage 7), kann zumindest ansatzweise anhand der Synthese der Ergebnisse aus der induktiven und deduktiven Phase der Grundlagenforschung beantwortet werden. Für eine besser abgesicherte Antwort für die weitere Raumplanung bedarf es jedoch sowohl der Grundlagenforschung als auch des Monitorings.

Aus den geschilderten inhaltlichen Gründen besteht das vorgestellte Projekt aus zwei verschiedenen Teilen: einerseits einem Grundlagenforschungsteil (Teil A) und andererseits einem Monitoring-Teil (Teil B). Der Grundlagenforschungsteil (Teil A) wiederum ist eingeteilt in eine induktive und eine deduktive Phase. Die Ergebnisse aus der Grundlagenforschung werden anschliessend zur Indikatorenbildung des langfristigen Monitorings (Teil B) genutzt.

Publikationen

  • Bauer, N.; Hauri, D.; Hunziker, M., 2008: Landschaftsbezogene Lebensqualität in Transit- und Referenzregionen. In: Buchecker, M; Frick, J; Tobias, S. (eds) Gesellschaftliche Ansprüche an den Lebens- und Erholungsraum. Eine praxisorientierte Synthese der Erkenntnisse aus zwei Forschungsprogrammen. Birmensdorf, Eidg. Forschungsanstalt WSL. 17-20.
  • Hauri, D.; Bauer, N., 2006: Transalpine freight traffic's impact on peopl's quality of life. In: Brebbia, C.A.; Dolezel, V. (eds) Urban Transport XII. Urban Transport and the Environment in the 21st Century. Southampton, Boston, WITPress. 679-689.