Ein Jahr in Davos

09.09.2022  |  Logbuch

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Ruzica Dadic verbringt ein Jahr als Fellow in der Forschungsgruppe Schneephysik. Die Schneeforscherin, die eigentlich an der Victoria University of Wellington in Neuseeland arbeitet, war 2019/2020 an der MOSAiC-Expedition beteiligt und arbeitet am SLF hauptsächlich an der Auswertung der dort gewonnen Daten. Was dieses Jahr für sie und ihre Familie bedeutet, schildert sie im Logbuch.

Es ist der Morgen des 31. Oktober 2021. Ich bin gerade nach einem langen Flug von Neuseeland in Davos in Martins Haus angekommen. Glücklicherweise fällt unseren Kindern das Reisen nicht schwer. Mein Lebensgefährte Huw ist zu Feldforschungsarbeiten in der Antarktis und wird Ende Januar zu uns nach Davos kommen. Für die Kinder habe ich nur Shorts und Sneakers eingepackt, weil sie in Wellington das ganze Jahr über nichts anderes tragen. Ich war davon ausgegangen, dass ich etwa einen Monat Zeit haben würde, um ihnen für Davos geeignete Winterkleidung zu kaufen, ahnte aber nicht, dass es schon am nächsten Tag anfangen würde zu schneien und dass meine tapferen Kinder ihre ersten Schul- und Kindergartenbesuche mit frierenden Beinen und nassen Füssen absolvieren müssten. Erfreulicherweise findet man in Davos reichlich Geschäfte, die Winterkleidung verkaufen, sodass der Rest der ersten Woche problemlos verlief. Auch wenn sich einige meiner Kinder immer noch weigern, lange Hosen zu tragen (es wird noch einen Monat dauern, bis sie das akzeptabel finden), so haben sie jetzt doch zumindest warme Winterstiefel und tragen lange Unterwäsche unter den Shorts.

Alles ist neu in der Schweiz

Der erste Monat in Davos war ein wenig chaotisch, weil alles neu war, und bei drei Kindern, die in drei verschiedene Schulen gingen, einige logistische Probleme gemeistert werden mussten. Doch die Hilfe und Unterstützung, die wir von den Kollegen am SLF und von den Lehrern erhielten, war mehr als grossartig, sodass wir uns schnell an die neuen Routinen gewöhnten. Bis Weihnachten hatten die Kinder nicht einmal darüber gemurrt, dass die Schule fast eine Stunde früher begann als zu Hause. Dieses aufregende neue Abenteuer war einfach zu toll, als dass man sich lange über irgendetwas beschwert hätte. Zudem verdreifachten die grossen Schneemassen die Zeit, die wir brauchten, um von A nach B zu gehen, denn offensichtlich «ist Schnee so aufregend». Dagegen konnte ich natürlich nichts einwenden, und so kamen die Kinder mit vielen bahnbrechenden Theorien über Schnee und das Eis auf dem Albertibach daher. Vielleicht sollten sie sie eines Tages veröffentlichen.

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Wissenschaft am Albertibach: Die faszinierenden Eisschichten und Lufteinschlüsse wurden mithilfe eines hölzernen Stocks und blossen Händen untersucht. Foto: Ruzica Dadic
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Der erste Schneemensch der Saison. Später in der Saison folgten noch einige gigantische Versionen, aber das hier bleibt mein Favorit. Foto: Ruzica Dadic
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Die grosse Aufregung, die neuen Skier auf dem Teppich auszuprobieren, und Pyjamas. Foto: Ruzica Dadic

Digitale Höhenmodelle aus der Arktis

Der Sinn meines Fellowship ist es, die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen vom SLF an MOSAiC-Daten zu vertiefen. Ich arbeitete im Wesentlichen daran, hochauflösende, kleinskalige digitale Höhenmodelle zu generieren, um die Oberflächenrauheit von Schnee zu bestimmen. Die kleinskalige Oberflächenrauheit von Schnee ist von Bedeutung für die Gewinnung von Daten aus der Fernerkundung der Meereiskonzentration und der Meereisdicke. Die Ergebnisse sind spannend, insbesondere weil man sich der Faszination nicht entziehen kann, die von dem breiten Spektrum an Oberflächentopographien des Schnees ausgeht. Das MOSAiC-Team des SLF hatte seit Ende der Expedition bereits zweimal pro Woche ein Meeting über Zoom, aber es tut sehr gut, wieder zu erleben, welchen Unterschied die persönliche Kommunikation ausmacht. Es ist schön, daran erinnert zu werden, dass Wissenschaft oft in Kaffeepausen, auf Fluren oder in Team-Meetings stattfindet und nicht allein in geplanten Sitzungen zu einem speziellen Projekt.

Der wahre Wert meines Fellowship liegt in den zufälligen Unterhaltungen mit Leuten, die ich beim Kaffee oder beim Mittagessen, in den Fluren oder auf dem Weg zur und von der Arbeit treffe, oder auch in den anregenden Gesprächen, die wir bei den wöchentlichen Gruppen-Meetings führen. Solche Gespräche, die oft mit unserer aktuellen Forschung gar nichts zu tun haben scheinen, sind für unsere Entwicklung als Wissenschaftler von entscheidender Bedeutung. Mir hat es immer viel Freude gemacht, Zeit am SLF zu verbringen, aber meine Besuche waren oft nur kurz und vollgepackt mit zuweilen schwierigen Laborexperimenten. Dieses Fellowship hat mir nicht nur ermöglicht, intensiver mit dem einzigartigen MOSAiC-Datenbestand zu arbeiten, sondern auch neue Arbeitsbeziehungen zu knüpfen, die meine Forschung in den kommenden Jahren inspirieren werden.