Camping auf dem Gletscher

23.12.2019 | Logbuch

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Mittlerweile ist SLF-Forscher Yves Bühler seit fünf Monaten in Neuseeland und sein Forschungsaufenthalt neigt sich dem Ende zu. Doch vor der Heimreise bekommt er noch die Gelegenheit, bei der Vermessung des Brewster-Gletschers mitzuhelfen, der trotz gewaltiger Schneemassen immer mehr abschmilzt.

In den Frühlingsferien, die hier im Oktober sind, bereisten wir mit dem Campingbus den Süden der Südinsel Neuseelands. Obwohl ich von meinem Besuch beim Strassendienst der Milford Road wusste, welche extremen Dimensionen Lawinen hier annehmen können, überwanden wir uns trotz des grossen Risikos, den Milford Sound zu besuchen. Bei perfektem Wetter fuhren wir mit dem Schiff durch die einmalige Landschaft dieser fjordähnlichen Bucht. Nun lernten wir auch das erste Mal die «Sandflies» kennen. Die Bisse dieser kleinen schwarzen Fliegen sind äusserst schmerzhaft, und wenn man sich kratzt, bleiben sie einem für Tage erhalten.

Danach fuhren wir weiter in die extrem trockene Landschaft von Central Otago. Hier, nur gerade 100 km Luftlinie entfernt von der nassen Westküste mit bis zu 7000 Millimetern Regen, fallen gerade noch 300 Millimeter Niederschlag im Jahr. Dieser Kontrast verdeutlicht die grosse landschaftliche Vielfalt der Südinsel Neuseelands.

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Der wunderschöne Clutha River, der zweitgrösste Fluss Neuseelands, schlängelt sich durch die Prärielandschaft von Central Otago. Foto: Yves Bühler, SLF
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«Bye bye» Helikopter: Ab jetzt sind wir auf uns alleine gestellt, Mobilfunkempfang gibt es in dieser Region weit und breit keinen. Foto: Yves Bühler, SLF
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Unser Camp am Fusse des Mount Brewster (Gipfel im Hintergrund) und des tief eingeschneiten Gletschers. Foto: Yves Bühler, SLF
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Ausblick vom Gipfel auf das unberührte Tal von Makarora. Der Höhenunterschied vom Talboden bis zum Gipfel beträgt stattliche 2000 Meter. Foto: Yves Bühler, SLF

Schneehöhen messen «extrem»

Anfang November ging es als krönender Abschluss meiner Serie von Feldexkursionen auf den Brewster Gletscher, circa 230 km nordwestlich von Dunedin. Dieser Gletscher ist einer der am besten erforschten in Neuseeland, da er relativ einfach zugänglich ist. In «Kiwi»-Dimensionen heisst das: circa 20 Minuten Helikopterflug von der nächsten Basis entfernt. Dieser Gletscher wird jedes Jahr zweimal an bestimmten Punkten vermessen, um die Schmelzraten zu bestimmen. Ursprünglich wurde vermutet, dass er wegen den riesigen Schneemengen im Winter noch wächst. Photogrammetrische Untersuchungen meines Forschungspartners Pascal Sirguey zeigen aber leider: Auch dieser Gletscher verliert circa 2,7 Millionen Tonnen Eis pro Jahr und wird bald Geschichte sein.

Wir packen also unsere Skiausrüstung plus einiges an weiterem Material in den Helikopter und fliegen über riesige Regenwälder hinauf in das Akkumulationsgebiet des Gletschers auf etwa 2000 m ü. M. Ich darf zusammen mit einer Kollegin gut 80 Punkte mit Hilfe eines GPS ablaufen, welche systematisch über den ganzen Gletscher verteilt sind, um dort jeweils die Schneehöhe zu messen. Nur kommt man mit einer Lawinensonde, wie wir sie zu diesem Zweck in Davos verwenden, hier nicht weit – sie wäre zu kurz. Die durchschnittliche Schneehöhe liegt bei gut 4,5 Metern, deshalb müssen wir zusammenschraubbare Stahlrohre verwenden. Und diese haben ihr Gewicht. Wir messen eine maximale Schneehöhe von 7,5 Metern. Nach einem intensiven Tag schleppen wir uns abends um acht Uhr mit letzter Kraft ins Zeltlager. Dort wird uns eröffnet, dass es bis jetzt kaum jemand geschafft hat, alle Punkte in einem Tag zu messen. Das macht uns etwas stolz. Ich kann mir aber die Bemerkung nicht verkneifen, dass diese Datenerfassung wohl um einiges vollständiger, genauer und effizienter mit einer Drohne gemacht werden könnte.

Zum Abendessen gibt es Pasta, die uns wunderbar schmeckt. Die Nacht im Zelt wird windig und kalt, aber am Morgen sind die müden Beine regeneriert und wir brechen auf zu einer kleinen Skitour. Der Ausblick vom Gipfel über die menschenleere Region und die riesigen ursprünglichen Wälder entschädigen uns für alles. Am Mittag geht’s wieder mit dem Heli ins Tal.

Abschied

Nun geht mein Forschungsaufenthalt bereits zu Ende. In fünf erlebnisreichen Monaten habe ich enorm viel über Vermessung und Fotogrammmetrie gelernt. Mit meinen Kollegen hier an der Uni habe ich mich von Anfang an sehr gut verstanden, und wir sind auch dank den anspruchsvollen und intensiven Feldarbeiten zu Freunden geworden. Unsere Zusammenarbeit wird fortgeführt: So startet jetzt eine Dissertation mit dem Schwerpunkt Lawinensimulationen in Neuseeland, welche von mir und meinem Forschungspartner Pascal Sirguey betreut wird und auch einen Forschungsaufenthalt am SLF beinhaltet.
Auch meiner Familie hat es sehr gut gefallen bei den «Kiwis» und sie möchte am liebsten in Neuseeland bleiben. Trotzdem geht es Mitte Januar zurück nach Davos in den Winter. Zuvor wollen wir aber noch den Norden Neuseelands entdecken. Wer weiss, vielleicht sehen wir doch noch die ersehnten Orcas. Das «Whale Watching» haben wir auf jeden Fall schon gebucht.

 

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