Balanceakt auf dem Blockgletscher

06.11.2019 | Logbuch

Der Geophysiker Jacopo Boaga von der Universität Padua verbrachte zwei Monate am SLF. Sein Ziel war es, eine neue Methode zur Messung des auftauenden Permafrostes zu testen. Die Herausforderung: rund 150 kg Ausrüstung zum Testgelände im Hochgebirge zu bringen.

Im Sommer 2019 habe ich zusammen mit der Permafrost-Gruppe des SLF mehrere geophysikalische Untersuchungen durchgeführt. Unser Ziel war es, den Permafrost, also den permanent gefrorenen Boden, zu erkunden. Permafrost findet man zum Beispiel in sogenannten Blockgletschern hoch oben in den Alpen. Besonders interessant war für uns zu messen, wie dick die Schicht über dem Permafrost ist, die saisonal auftaut. Durch die globale Erwärmung kann diese sogenannte aktive Schicht grösser werden, was zu einer Destabilisierung von Steilhängen und damit zu Steinschlag oder Erdrutschen führen kann. Wir konzentrierten uns auf die Methoden der Elektrischen Widerstandstomographie (ERT) und auf elektromagnetische Messungen (EM). Damit kann man Informationen über den Untergrund von der Oberfläche aus messen.

Gute Planung ist unerlässlich

Die geophysikalischen Techniken sind sehr vielversprechend, da wir eine schnelle und nicht-invasive Charakterisierung der gefrorenen und aufgetauten Schichten erhalten können, ohne dass man bohren oder graben müsste. Denn das wäre in einem Blockgletscher, der voller Geröll ist, sehr schwierig. Dennoch mussten wir uns mit einer Reihe von Herausforderungen auseinandersetzen. Die Ausrüstung ist schwer: Elektroden, Kabel, Instrumente, eine lange Sonde, Batterien, GPS, Laptop, etc. Unmöglich, das alles selbst zu schleppen! Wir brauchten einen Helikopter, um unsere gesamte Ausrüstung in einem Netz zu transportieren und uns direkt zum Versuchsgelände am Schafberg bei Pontresina (GR) zu lassen, auf 2750 m.ü.M. Das ist einerseits sehr praktisch, aber man ist dort auch auf sich allein gestellt und muss vorher sorgfältig planen, damit man auch alles dabei hat, das man für den gesamten Arbeitstag benötigt.

Einschlagen von Elektroden in den Boden

Für die elektrischen Messungen müssen wir beispielsweise Dutzende von Edelstahl-Elektroden in den steinigen Untergrund einschlagen, um einen elektrischen Kontakt mit dem Boden herzustellen. Das kann einige Zeit dauern, denn wir müssen die grossen Blöcke entfernen, die Elektroden einhämmern und alle Kabel anschließen. In einem Blockgletscher müssen wir aufgrund des sehr hohen spezifischen Widerstandes von Eis jede Elektrode benetzen, um den elektrischen Kontakt zu erleichtern. Dazu verwenden wir Salzwassertanks (bis zu 50 Liter), die vorher vorbereitet und mit dem Helikopter dorthin gebracht werden müssen (in der Regel gibt es in dieser Höhenlage kein Wasser).

Wenn die Kabel an die Elektroden angeschlossen sind, können die elektrischen Messungen einige Stunden dauern und geben uns ein Bild vom Untergrund. So können wir das Vorhandensein von Eis, seine Dicke und Eigenschaften zu lokalisieren. Unter diesen Bedingungen können wir nur hoffen, dass alles gut läuft, denn am Berg haben wir keinen Zugang zu Ersatzteilen oder externer Hilfe. Die Daten werden dann in externen Speichern gespeichert. Wir behandeln sie wie einen echten Schatz!

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Mit dem Elektro-Magnetometer messen die Forschenden kontaktlos die Leitfähigkeit des Untergrunds. Foto: C. Hoffmann, SLF
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Bei den Messungen trägt Jacopo ein GPS-Gerät auf dem Rücken, dass die Messwerte mit der jeweiligen Position verknüpft. Foto: C. Hoffmann, SLF
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Jacopo Boaga misst die Leitfähigkeit des Untergrunds mittels "Electrical Resistivity Tomography" (ERT). Foto: M. Phillips, SLF
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Dazu werden Elektroden mit einem Hammer in den steinigen Untergrund geschlagen. Foto: C. Hoffmann, SLF
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Lohn für die anstrengende Arbeit: Herrliche Aussicht auf den Morteratschgletscher. Foto: C. Hoffmann, SLF
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Die Ausrüstung wiegt zusammen etwa 150 Kilogramm. Foto: C. Hoffmann, SLF
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Das Material wird für den Heli-Transport in ein Netz gepackt. Foto: C. Hoffmann, SLF
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Sans hélicoptère, il ne serait pas possible de tout transporter en montagne. Image : C. Hoffmann, SLF

Ständige Stolpergefahr

Die elektromagnetischen Messungen sind aus logistischer Sicht einfacher, da wir eine Sonde verwenden, die keinen elektrischen Kontakt zur Erde benötigt. Andererseits bedeutet dies, mit einer 6 m langen Sonde über das wackelige Geröll des Blockgletschers zu balancieren. Gar nicht so einfach! Die Oberfläche des Blockgletschers ist sehr uneben und reicht von feinen Materialien wie Ton bis hin zu riesigen Felsbrocken. Es werden drei Personen benötigt, um die Antenne zu tragen, und wir müssen versuchen, sie horizontal und in einer konstanten Höhe über dem Boden zu halten, um die Messungen nicht zu beeinflussen. So sind wir ständig in Gefahr zu stürzen. Die elektromagnetische Sonde ist mit einem GPS verbunden, das man auf dem Rücken trägt und das die Messungen mit der jeweiligen Position verknüpft. Allerdings haben wir oben auf dem Berg oft Probleme mit Satellitenverbindungen. Das heisst, dass wir die Messungen oft unterbrechen und einige Datenlücken akzeptieren müssen.

Steinböcke und Murmeltiere

Die Arbeit auf einem Blockgletscher gibt uns aber auch die Möglichkeit, schöne Landschaften zu geniessen, welche einen für die anstrengende Feldarbeit entschädigen. Man geniesst die Aussicht auf die unberührte Bergwelt und ist in Gesellschaft von Steinböcken, Murmeltieren und Falken, die sich nicht an der Arbeit der Forschenden stören.